VII.
Schluß
Fontanes Stellungnahmen zum geschlagenen Frankreich und zur Pariser Commune haben sich also nach und nach geändert, in dem Maße, wo der revolutionäre Geist, der im Jahre 1871 nur über Frankreich wehte, seit der Reichsgründung auch in Deutschland auftritt, besonders in Berlin, dessen Wählerschaft seit 1890 in ihrer Mehrheit für die Sozialdemokratie stimmte. Jenes Jahr brachte das Ende der Ära Bismarck. Umsonst hatte der eiserne Kanzler mit Ausnahmegesetzen regiert, um die immer zahlreicher und in seinen Augen immer gefährlicher werdende Arbeiterklasse niederzuzwingen.
Fontane war gewiß in seinen Reportagen von 1870—71 ein eher wohlwollender Beobachter des französischen Volkes, was man von seinen Kollegen in der preußischen Publizistik kaum sagen kann. Dennoch stand er damals unter der Zwangsidee der Angst vor dem „roten Mob“ und beruhigte sich einzig und allein bei dem Gedanken, daß er selbst einer Nation angehörte, die der gegebenen Gesellschaftsordnung Respekt zollte. Jedoch wurde diese Gesellschaftsordnung auch in Deutschland mehr und mehr in Frage gestellt, was Fontane allmählich dahin führt, seine Meinung zu ändern. Der Bruch mit der Tradition, den er noch 1871 so scharf verurteilt hatte, ist zwanzig Jahre darauf in seinen Augen kein Vergehen mehr, kein Verbrechen gegen die Kultur. Im Gegenteil, er bemüht sich nun, in der Retrospektive des Romans Quitt, die Commune nicht negativ, in politischer Erregung, sondern leidenschaftslos, in dichterischer Verklärung darzustellen.
An Stelle der angesichts des revolutionären Geschehens empfangenen und unmittelbar, unreflektiert in den Reportagen von 1870—71 wiedergegebenen Eindrücke treten seit 1890 tiefer gehende Betrachtungen, die in Fontanes Romanen und auch in seinem Briefwechsel niedergelegt sind. Zu diesen Betrachtungen wird der Dichter angeregt durch das Erlebnis der Klassenkämpfe, die sich seit Jahrzehnten auch in Deutschland, in Berlin vor seinen Augen, abspielen. So entsteht aus Erinnerung und Gegenwart die literarische Gestalt des seltsamen, aber sympathischen Communekämpfers.
Endlich zeigt sich im Stechlin der Bruch mit der Tradition, und zwar keineswegs als verwerflich wie einst in den Reportagen von 1871, sondern als unvermeidlich. Im Spätroman erscheint die Commune zum letzten Mal, in der Allegorie des unterirdischen Paris. „Eine neue Zeit bricht an“, schreibt Fontane; 69 in der Tat, der alte Gesellschaftsbau, auf soziale Ungleichheit und Privilegien gegründet, scheint zusammenzubrechen, um einer Gegen-Gesellschaft Platz zu machen, die aus jener Unterwelt des Elends, in der man kaum atmen kann, zum Licht emporstrebt. In seinem letzten Werk verkündet der Dichter die Heraufkunft einer demokratischen Epoche, „eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft“. 70