Heft 
(1979) 30
Seite
480
Einzelbild herunterladen

Likedeeler-Roman zu schreiben, und bienenfleißig historisches Material sammelte, wußte ebenfalls von der Fragwürdigkeit des historisch Über­lieferten. 53 An diesem Thema ist es am deutlichsten zu sehen, daß Bredel einen von Fontane geplanten Stoff aufgegriffen und wohl als bisher einziger Schriftsteller realisiert hat. Er hat den in der Moskauer Zeit (um 1940) geschriebenen Störtebecker-RomanDie Vitalienbrüder im Jahre 1950 veröffentlicht, in dem ein Kapitel den TitelDie Likedeeler trägt. Diesen Stoff verarbeitete Bredel auch als Bestandteil des Buches Unter Türmen und Masten.

Beide Schriftsteller charakterisierte auch eine entschieden negative Ein­stellung zum preußisch-deutschen Militarismus. Zwar entwickelte sich Fontane erst im Laufe der Jahre zum konsequenten Antimilitaristen, aber um so überzeugender wirken die kurz vor seinem Tode an J. Morris gerichteten Worte:Das aber, womit am ehesten (weil unerträglich geworden) gebrochen werden muß, ist der Militarismus [Hervorhebung H. Z.J. Dieser Gesichtspunkt kommt schon inSchach von Wuthenow (1883) zum Ausdruck. Zutreffend ist dazu folgende Meinung P.-P. Sagaves: Überlieferte Regeln lernen und diesen Regeln das militärische, öffentliche und private Leben unterwerfen, darin liegt im ,Schach das Unglück eines Menschen,' der Fehlschlag einer Kaste, der Zusammenbruch eines Staats­wesens. Fontane läßt den Leser aus dem Gang der Erzählung herausfinden, daß von der preußischen Überlieferung der Regel, der künstlichen Begriffe im Zeitalter der europäischen Umwälzung keine schöpferische Kraft mehr ausgeht und daß ein Rittmeister Schach, der noch ganz in jener Über­lieferung lebt, in der gesellschaftlichen Konvention, im künstlichen Ehrbegriff für sein Problem keine Lösung finden kann. Wie sehr diese preußische Welt überholt ist, das bringt Fontane in seinem Roman dem Leser nahe, ohne Eifer und auch ohne Spott. 36

Bredels Stellungnahme zum Krieg und zum durch den Nazismus ver­tretenen modernen deutschen Militarismus enthält am deutlichsten sein in der entscheidenden Stunde Deutschlands, im Mai 1945, veröffentlichter Appell an das deutsche Volk:Reaktionärer Preußengeist hat das ,deutsche Wesen gebildet, verbildet, verkrüppelt. Hunderte Jahre krankt unser Volk an diesem Ungeist. In unseren Tagen gehen seine bestialischen Bannerträger zugrunde. Sie hinterlassen Todesfabriken mit einer raffiniert ausgeklügelten Massenmordtechnik, sie hinterlassen Millionen Leichen Hingemetzelter, sie hinterlassen niedergebrannte Länder und ausgeraubte Völker. Sie hatten sich den Mythos der Unbesiegbarkeit gegeben und sind von den überfallenen freien Völkern auf deutschem Boden kurz und klein geschlagen worden. Sie versinken in Hektakomben deutschen Blutes und unter den Trümmern deutscher Städte. [... ] Deutschland kann innerhalb der europäischen Völkerfamilie leben, blühen und gedeihen. Mehr: nur ein friedliches Deutschland kann leben. Ein Deutschland, das .Lebensraum auf fremdem Boden sucht und die gepanzerte Faust nach fremdem Gut ausstreckt, wird immer und stets nur den Tod finden. [...] Und unsere Zukunftsaufgabe von heute ist: den Preußengeist, den Milita­rismus, das moderne Raubrittertum und die Dschungelmoral des Nazismus

480