In dem (in einem dieser Gattung entsprechenden Unterhaltungston gehaltenen) Roman finden wir nämlich unverhofft ein Problem vor, das in keiner Beziehung zur Handlung zu stehen scheint, und zwar das Problem des polnischen Freiheitskampfes von 1830, 31 und eine durchaus ernsthafte Beschreibung der damaligen tragischen Vorfälle in Warschau, die er einen Polen erzählen läßt. Dabei fehlt es in diesem Roman nicht an solchen polenfreundlichen Akzenten, wie die Bezeichnungen „die Tapferen“ für die Aufständischen oder „die polnischen Heldentaten“ für deren Kampftaten, wie ein Zitat aus dem Lied „Noch ist Polen nicht verloren“ oder auch die Anführung zweier Strophen des bekannten Poienliedes von Julius Mosen „Die letzten zehn vom vierten Regiment“ und endlich die Beschreibung der Begeisterung und des Jubels der Anwesenden zu Ehren der kämpfenden Polen/" Auf solch eine Interpretation dieses Romans scheinen auch folgende Aussagen hinzuweisen. Vor allem ist hier ein Brief von Max Lesser vom 8. Oktober 1937 interessant, in dem er über ein um 1885—1887 geführtes Gespräch mit Fontane, der „einen merkwürdig persönlichen und offenbar sehr kritischen Standpunkt zu den damaligen Polen-Gesetzen einnahm“, folgendes berichtet: „Ungefähr in dieser selben Zeit veröffentlichte die Kreuz-Zeitung einen Brief von Fontane, den ich jahrelang aufbewahrte, der mir aber leider abhanden gekommen ist. An wen der Brief gerichtet war, weiß ich nicht mehr, sein Inhalt war aber höchst bedeutend und stand im starken Gegensatz zu der damaligen anti-polnischen Bewegung im politischen Leben. [...] Fontane äußerte darin merkwürdig offen und höchst pessimistisch seinen Zweifel an einem dauernden Erfolge der Bismarckschen Polen-Politik. Der Brief kam ungefähr darauf hinaus, daß ein Windstoß genügen werde, das anscheinend so stolze Gebäude der preußischen Polen-Politik zu zerstören. Wie recht der Briefschreiber hatte, hat der Verlauf der Ereignisse in und nach dem Weltkriege bewiesen.“ 44 Diese dokumentarische Äußerung, die F. Betz als „ein hochbedeutendes Gespräch über die Bismarcksche Polen-Politik“ bezeichnet, weist unzweifelhaft eindeutig auf Fontanes Haltung zur Zeit des Erscheinens des Romans „Unterm Birnbaum“ hin. 44 J. Schobeß macht in seinem äußerst zutreffenden Beitrag darauf aufmerksam, daß das Geschehen des Romans • im Jahre 1831, kurz nach dem Zusammenbruch des heldenhaften polnischen Aufstandes gegen die zaristischen Schergen einsetzt, auf den Fontane nach über fünfzig Jahren „mit unbezwingbarer Rührung“ zurücksah; der Roman drückt die Verurteilung der Unterdrückungspolitik gegenüber Polen und die Parteinahme zugunsten des polnischen Volkes aus. 46 D. Sommer bezeichnet „Szulskis Bericht vom Warschauer Aufstand als historische Folie des vordergründigen Geschehens und als Kontrast gegenüber den widersinnig reaktionären Gesinnungen Hradschecks und seiner Manövergäste.“ 47
Bezeichnenderweise befaßte sich auch Bredel mit dem polnischen Novemberaufstand von 1830/31. Im Jahre 1940, also zu einem Zeitpunkt, als die Einstellung des deutschen Volkes zu Polen alles andere als freundschaftlich war, veröffentlichte Bredel in Moskau eine den Reformatoren der preußischen Armee gewidmete Studie, in welcher er u. a. das Verhältnis