Heft 
(1979) 30
Seite
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habe ihm an jenem Nachmittag aus einem Heftdien oder einer Zeitschrift, die er in der Hand hielt, sehr bewegt vom Tod des Joao de Deus vor­gelesen, so als handle es sich um einen gewaltigen Verlust. Angesichts seiner Ratlosigkeit, da ihm dieser ausländische Name nichts sagte, habe Lorenzen Joao de Deus die vollkommene Inkarnation der Liebe des Neuen Testaments genannt:Dieser Joao de Deus, so etwa seien Loren­zens Worte gewesen,war genau das, was ich wohl sein möchte, wonach ich suche, seit ich zu leben,wirklich zu leben angefangen, und wovon es beständig draußen in der Welt heißt, es gäbe dergleichen nicht mehr. Aber es gibt dergleichen noch, es muß dergleichen geben oder doch wieder geben. Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde gehen. Die zehn Gebote, das war der Alte Bund, der Neue Bund aber hat ein andres, ein einziges Gebot, und das klingt aus in:Und du hättest der Liebe nicht... 111

Obwohl Lorenzen in Woldemars Bericht die Art menschenfreundlicher Aktivität, der der portugiesische Dichter sich hingegeben hatte, nicht näher erläutert, wird deutlich, daß hinter der ganzen Darstellung das von Joao de Deus verwirklichte sozialpädagogische Werk steht, sein Apostel­amt zugunsten des Kindes, das der oben erwähnte Nachruf Hedwig Wiggers lang und breit rühmt. Man lese z. B. den folgenden Abschnitt, in dem die Autorin das Schaffen Joao de Deus aus seiner Nächstenliebe heraus begründet:Fern vom politischen Leben, zurückgezogen von dem Geräusch der Großstadt, gab er sich seinen dichterischen Eindrücken hin und ward zum Apostel der Kinder. In diesem Apostelamt offenbart sich vor allem die Liebe zu dem Lande, dessen Sohn er war, die Liebe zu dem Nächsten. Ihn jammerte der Armen, die ohne Unterricht aufwuchsen, ihn jammerten die Kinder, die sich mit der herkömmlichen schwierigen Methode des Lesenlernens plagten... Tage-, nächtelang grübelte er über eine Abhilfe nach, beschäftigte sich sein Geist mit einer Arbeit, die, als er sie vollendet hatte, dem Volke zum Segen ward. Er schuf die ,Cartilha Matemal 1 ... Er nahm sich der Kinder an, die ohne geistige Anregung, ohne Belehrung und Erziehung seitens der Eltern aufwuchsen, er unter­richtete sie für ein ,Lohns Gott*... (a. a. O., Sp. 296297).

Aus der Zeitungsnotiz über den Tod von Joao de Deus, aus der Lorenzen ihm vorgelesen habe, hebt Woldemar noch die Beschreibung der Beerdi­gungsszene hervor:... Und als er nun tot war, der Joao de Deus, da gab es eine Landestrauer, und alle Schulen der Hauptstadt waren geschlos­sen,und die Minister und die Leute vom Hof und die Gelehrten und die Handwerker, alles folgte dem Sarge dicht gedrängt, und die Fabrikarbeite­rinnen hoben schluchzend ihre Kinder in die Höh und zeigten auf den Toten und sagten: Un Santo, un Santo. Und sie taten so und sagten so, weil er für die Armen gelebt hatte und nicht für sich. 20 Dieser Abschnitt stammt eindeutig aus Hedwig Wiggers breiterer Beschreibung, die Fontane z. T. wörtlich übernimmt:Wenn jemals das Wort buchstäblich erfüllt worden ist: ,Wer zween Röcke hat, gebe einen dem, der keinen hat so hat es Joao de Deus befolgt. Er behielt für sich und seine Familie nur

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