Heft 
(1979) 30
Seite
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unten am Tajo 25 , am Anfang der Unterhaltung und die Erinnerung an den damals unter dem Zeichen von Joao de Deus und Lorenzeri geschlos­senen Bund sind sozusagen das Vorspiel zu einem langenrevolutionären Diskurs 28 , in dem das Grundthema des Romans vollkommen klar wird der Gegensatz alte Welt / neue Welt und die komplexe politisch-soziale Problematik, die ihm innewohnt.

Es sei hier an die richtige Beobachtung Hans-Heinrich Reuters 27 erinnert, der diese Romanszene zwischen der aus der Hauptstadt kommenden Gräfin und dem bescheidenen Landpfarrer mit einer Pressekonferenz eines demokratischen Politikers vergleicht. In der Tat bilden zum großen Teil Melusines Zweifel und Fragen den Anlaß für Lorenzen, seine demokra­tischen Überzeugungen und seine Vorhersehung besserer, freierer und gerechterer Zeiten vor uns auszu breiten 2 *. In den neuen von Lorenzen gepredigten und von Melusine unterstützten Idealen vermischen sich in ungenauer und unbestimmter Form Gedanken, die zwei politischen Bewegungen aus der Zeit Fontanes entnommen wurden der christlich­sozialen Bewegung konservativer Tendenz Adolf Stöckers 28 und der Sozialdemokratie August Bebels, die eine echte revolutionäre Kraft dar­stellte. Es sei allerdings nebenbei bemerkt, daß der vage und distanzierte Ton, mit dem in der Romanwelt die Verbindungen zwischen Lorenzens Persönlichkeit und den oben erwähnten politischen Figuren angedeutet wird, der bewußt unscharfe Charakter, den Fontane den Äußerungen seines Pastors aufdrückt, uns höchstens gestatten, das christliche Denken Lorenzens und des Freundeskreises, der sich unter seiner Ägide bildet, mit den diesen beiden Bewegungen zugrunde liegenden ethisch-sozialen Idealen zu identifizieren, aber nicht: mit den Bewegungen selbst, wie es verschiedene Kritiker bereits versuchten 30 .

Was vor allem auch an diesem Dialog hervorgehoben werden muß, ist die Verbindung, die sich zwischen den neuen sozialen Ideen christlicher Färbung und der Lektion vom Stechlinsee herstellt. Melusine sagt:Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gege­benes sein. Alles alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod. Es kommt darauf an, daß wir gerade das beständig gegenwärtig haben . 31

Die Parallele zwischen den Naturphänomenen, die den See betreffen, und der politisch-sozialen Welt ist eine Konstante des Romans. Die Weltbeziehungen 32 , die der See zu den entferntesten Punkten der Erde aufrechterhält, dienen letzten Endes dazu, die Menschen zu belehren, daß sie niemals, mit den eben zitierten Worten Melusines,den großen Zusammenhang der Dinge vergessen dürfen. Das, was Fontaneden großen Zusammenhang der Dinge nennt, würden wir heute, wie Hubert Ohl richtig interpretiert, nennen:die Interdependenz aller politischen und sozialen Vorgänge einer Zeit..., denen gegenüber auch ein versteckter

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