Provinzstadt, wo Gesellschaften nur ab und zu stattfanden, recht verloren fühlte. Sein natürlicher Platz wäre in Berlin gewesen. Indem das Schicksal dem Sohn gab, was es dem Vater verweigert hatte, schien es die Ordnung der Dinge wiederherstellen zu wollen.
Der Reiz des gesellschaftlichen Lebens und vor allem die Tafelfreuden haben Theodor Fontane sehr lange fasziniert, denn dieser gebildete und gesellige Mensch mit seinem Talent zur Unterhaltung wurde in den Berliner Gesellschaftskreisen freudig aufgenommen, und man übersah die bescheidenen Verhältnisse, in denen er lebte.
In seinen Romanen, besonders in „Schach von Wuthenow“, unterstreicht Fontane die rituelle Seite der Tafel und zeigt uns, daß er über das gastronomische Raffinement hinaus noch andere Werte schätzt, nämlich soziale und ästhetische 2 .
In seinen autobiographischen Schriften brandmarkt Fontane das Fehlen des Rituals bei den Diners der Bourgeoisie, und es scheint ihm für diese aus den Jahren der Spekulation und der Gründung der Großunternehmen hervorgegangene soziale Klasse bezeichnend zu sein.
In einem Brief an seine Tochter kritisiert er die Scheinheiligkeit im Benehmen dieser Klasse 3 . Der gesellschaftliche Glanz, den sie sich gibt, täuscht kaum über das Unverständnis für Kultur und Tradition hinweg und gibt zu erkennen, daß sie den wirklichen Sinn und inneren Wert gewisser sozialer Gewohnheiten nicht begreift.
Die Vorwürfe Fontanes können nicht nur einfache Mißstimmung sein. Wie jegliches andere menschliche Tun erhält das Empfangen von Gästen seine volle Bedeutung erst durch die Gründe, aus denen heraus es geschieht. Tafel halten und vor allem Gäste empfangen kann eine solche Kunst werden, daß es Edelsinn und Edelmut ausstrahlt, die den Alltag weniger alltäglich machen, und daß die triviale Handlung des Essens und Trinkens der Ausgangspunkt für eine besondere Auffassung von der Annäherung an den Mitmenschen wird.
Diese Art, das Gesellschaftsleben aufzufassen, führt uns zu der Frage, ob der Ruf des Gesellschaftsmenschen, den die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts Fontane angehängt hat, nicht vielleicht auf Mißverständnissen beruht?
II
Das erste Mißverständnis bestünde zweifellos darin, Fontane die Eigenschaften eines mondänen Mannes zuzuschreiben. Gesellig war er; begierig auf menschlichen Austausch und auf Konversation war er ebenfalls. Aber genügt dies, um daraus auf einen mondänen Charakter zu schließen, um aus einem Menschen einen Salonlöwen zu machen?
Fontanes Briefe verraten von 1870 an eine immer geringer werdende Bereitschaft zum Mondänen, die sich bis zu Abneigung steigerte. Dies erscheint immerhin als überraschend bei einem Manne, der bis dahin ein Gesellschaftsmensch zu sein schien. Gewiß, Fontane war damals sechzig Jahre alt. In diesem Alter sind Zwang und Mühen, die das Gesell-
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