Schließlich erscheint die Form, die Fontane den Tischgesprächen in seinen Romanen verleiht, geradezu als die künstlerische Formgebung seiner persönlichen Erfahrung des gesellschaftlichen Lebens. Das „Gespräch zu zweien in Gesellschaft“, das er so sehr im Kreise seiner Freunde schätzte, dient auch als Modell für die Komposition der Unterhaltungen in den Romanen: Wenn Fontane Romangestalten um eine Tafel versammelt, befleißigt er sich, in ihrer Unterhaltung die Form des Zwiegesprächs, des Dialogs, aufrechtzuerhalten und verweist damit recht oft einen großen Teil der Tischgenossen in eine Figurenrolle. Und selbst wenn er eine allgemeine Unterhaltung inszeniert, besteht sie aus einer Reihe von aufeinanderfolgenden oder gleichzeitigen Dialogen, die nur den Eindruck eines allgemeinen Gespräches vermitteln.
In der literarischen Darstellung dieser Auffassung des „Gesellschaftsgesprächs zu zweien“ stützt sich Fontane vor allem auf zwei Faktoren, die ihm im gesellschaftlichen Leben, so wie es in seinen Augen sein sollte, als wesentlich erscheinen. Vor allem nützt Fontane den sozialkulturellen Faktor aus: Er stellt die mondänen Gespräche als unterhaltende gesellschaftliche Beziehungen dar, als ein Gesellschaftsspiel, das auf zwei Grundregeln beruht: Auftreten und Bildung. Von der Hypothese ausgehend, daß er sich an ein gebildetes Publikum wendet, schneidet er daher Themen an und spielt auf Tatsachen und Begebungen an, die diesem Publikum bekannt und vertraut sein müssen. So kann er nach Belieben Gedanken und Dinge zu verstehen geben, die man zwischen den Zeilen lesen muß. Sehr oft bekommen die in den Tischgesprächen angeschnittenen Themen erst ihre volle Bedeutung im Hinblick auf ein gesellschaftliches oder kulturelles Ereignis. Man stellt dann fest, daß zwischen der rriondänen Rede, die der Verfasser sich abwickeln läßt, und den Aussagen eines bestimmten Sprechers in einem gegebenen Unterhaltungszusammenhang eine Doppelsinnigkeit besteht, die oft zum Ausgangspunkt einer psychologischen Intrige wird.
Dies wird jedoch nur durch die Form des Zwiegesprächs möglich, da dieses selbst in der oberflächlichsten Unterhaltung die psychologischen Faktoren der Kommunikation offenbart. Indem Fontane also das Zwiegespräch in die mondäne gesellschaftliche Unterhaltungsform einführt, macht er es möglich, daß selbst inmitten zahlreicher Tischgenossen der Anschein einer wirklichen und echten menschlichen Kommunikation entsteht. Denn trotz der konventionellen Umgebung, in der das Gespräch stattfindet, kann eine Annäherung und Entdeckung des Partners stattfinden. Daher ergibt sich die Meisterschaft, eine solche Unterhaltung zu führen, mehr aus der Fähigkeit zu kommunizieren und aus dem Geschick, dem andern näherzukommen, oder auch aus der Fähigkeit, sich selbst zurückzustellen, als aus der Kunst, in Gesellschaft zu seinem Vorteil zu erscheinen und mit Eleganz seine Kenntnisse zur Schau zu stellen. Die gesellschaftliche Unterhaltung auf der Basis des Zwiegesprächs beruht also vor allem auf einer gewissen Disponbilität dem Gesprächspartner gegenüber und darauf, sich auch anders unterhalten zu können als nur durch ein paar oberflächliche, geistreich formulierte Sätze, und letzten Endes auf der Kunst.
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