Heft 
(1979) 30
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sieren, wurde oft und stark betont. Man hat jedoch nicht genügend die Funktion unterstrichen, die gewisse Unterhaltungen für den Ablauf der eigentlichen Romanhandlung selber haben. So beweist zum Beispiel die enge Beziehung, die festzustellen ist zwischen dem sozialen Status der Tischgenossen, der Zusammensetzung der Tischgesellschaft, den angeschnit­tenen Themen und dem Eingreifen der verschiedenen Personen in die Unterhaltung zu ganz genauen Augenblicken, daß die Gespräche bei Tisch mehr sind als nur literarisches Hilfsmittel für ein Sittengemälde.

Die Tatsache, daß Polemiken über Bismarck ausschließlich von preußischen Junkern,, daß Gespräche über Gastronomie meistens von bürgerlichen Intellektuellen und Gespräche über Theater stets von Künstlern und von älteren, sich an schlüpfrigen Geschichten ergötzenden Baronen geführt werden, zeigt, daß jeder Gesprächsstoff einem Personentyp entspricht. Aber man könnte auch das Gegenteil behaupten: Jede Romangestalt führt in der Unterhaltung die Gespräche, die für ihre Bildung, ihr Milieu und vor,allem ihre gesellschaftliche Stellung spezifisch sind. Ihre Gespräche sind ebenso Ausdruck ihrer Persönlichkeit wie Spiegel ihrer sozialen und kulturellen Umgebung.

So hat die Begegnung gewisser Personentypen bei einer Tischgesellschaft notwendigerweise das Anschneiden gewisser Gesprächsthemen zur Folge. Die Zusammensetzung der Tischgesellschaft bildet ein geschlossenes Ganzes, innerhalb dessen das sprachliche Verhalten der Tischgenossen beinahe vorauszusehen ist, noch bevor die Unterhaltung beginnt.

Daher kann Fontane je nach den Bedürfnissen der Erzählung oder der Handlung die anwesenden Tischgenossen, die sich zu einem gewissen Typ der Unterhaltung eignen, auswählen. Der Extremfall zeigt sich im RdmanDer Stechlin. Fontane läßt zwei Universitätsprofessoren auf- treten, die schon allein durch ihre Gegenwart der Unterhaltung eine gewisse Ausrichtung geben. Herr Dr. Wrschowitz, Professor für Musik, kann den Namen Niels Gade nicht hören, eines schwedischen Komponisten, den er nicht ausstehen kann, und er läßt es nicht zu, daß man in seiner Gegenwart von Skandinavien spricht, weil ihn dies an Niels Gade erinnert. Dagegen liebt er Kritik in all ihren Formen. Der andere, Herr Professor Cujacius, Kunstmaler, erträgt es nicht, daß man ihm in seinen Urteilen über Kunst widerspricht, und er verabscheut jegliche Kritik. Im Laufe des Romans stellt uns Fontane jeder dieser beiden Gestalten für sich vor und zwar in zwei Unterhaltungen, in denen die Anwesenden vorsichts­halber die Gesprächsthemen vermeiden, die diesen Herrn mißfallen, geradezu als ob es sich um unantastbare Tabus handle. Aber es wird am Ende des Romans genügen, Dr. Wrschowitz und Professor Cujacius ip ein und derselben Unterhaltung zusammenzuführen, um eine stürmische Diskussion heraufzubeschwören: Der Name Niels Gade, den Professor Cujacius ganz beiläufig ausspricht, ruft eine unmittelbare und heftige Reaktion bei Dr. Wrschowitz hervor.

Für den Leser scheinbar ganz mondäne Unterhaltungsgegenstände über Kunst und Bildung, wie die Ballade vom König Olaf inElfi Briest, die Madonnen des Murillo inLAdultera, die Erholungsreisenden in

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