Heft 
(1979) 30
Seite
526
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gemacht hat und wie Brinkmann anerkenntdie bedeutenden und umfangreichen Monographien von Hans-Heinrich Reuter, Walter Müller- Seidel und Helmuth Nürnberger eine neue Situation der Forschung begründet haben (S. 3), hat der Autor das Buchbis auf die Zeittafel unverändert wiedererscheinen lassen, da nach seiner Meinung eine Überarbeitung nicht erforderlich war. Denn die Thesen seines Buches wären, wie der Autor im Vorwort zur zweiten Auflage feststellt,mit einigen der inzwischen ans Tageslicht geförderten Texte noch besser belegbar, und das Buch kann sichin der Substanz seiner Aussagen gerade auf die neuen großen Monographien und Spezialstudien zur Be­kräftigung berufen (S. 5).

Die Frage, wie es damit steht, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Das wäre Aufgabe eines Forschungsberichtes. Auch soll Brink­manns Fontane-Studie hier nicht erneut in Gänze gewürdigt werden. Denn der Text der ersten Auflage, der, wie gesagt, unverändert wieder- vorgelegt wird, hat bereits Hans-Heinrich Reuter in Bd. 1 derFontane- Blätter (S. 373377) rezensiert. Wir beschränken uns vielmehr auf einige Bemerkungen über dieVerbindlichkeit des Unverbindlichen, jene wie Brinkmann (S. 5) sagtdenkbare Verständnisformel für Fontanes Wirklichkeitsbezug, die Reuter damals nur gestreift hat.

Brinkmann verwendet die Formel von der Verbindlichkeit des Unver­bindlichen in zwiefacher Bedeutung.

Einerseits soll damit gesagt sein, daß gesellschaftliche Phänomene nicht absolut noch für alle Zeiten gültig sind, sondern nur unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen und in begrenzten Zeiträumen. Die Ver­bindlichkeit findet ihre Schranke in dieser Relativität, die Brinkmann, etwas unscharf, auch als Unverbindlichkeit bezeichnet.

Dieser Auslegung der Formel von der Verbindlichkeit des Unverbindlichen kann man durchaus zustimmen. Denn sie betont, in Einklang mit grund­legenden Erkenntnissen der Dialektik, die Historizität der Institutionen und Ideen, die in einer bestimmten Gesellschaftsformation maßgebend sind. Sie verwahrt sich sowohl gegen ahistorische Verabsolutierung wie auch gegen schrankenlosen Relativismus und Skeptizismus.

Andrerseits ist aber in Grenzfällen, mit denen Fontane allerdings oft konfrontiert war und die er gestaltete, unter Verbindlichkeit des Unver­bindlichen zu verstehen, daß gesellschaftliche Phänomene keine Geltung mehr beanspruchen können, darum unverbindlich geworden sind und dennoch als verbindlich hingenommen werden. Ihre Verbindlichkeit ver­liert dann jedoch die historische Berechtigung und wird zum Hemmnis für den geschichtlichen Fortschritt.

Mit der Unverbindlichkeit ist also im ersten Falle Geschichtlichkeit, im zweiten Falle bare Überholtheit gemeint. Aus letzterer resuliert dann jener Schwebezustand, in dem eine Institution, ein Prinzip, eine Über­zeugung, wiewohl schon nicht mehr oder kaum noch gültig, also bereitsunverbindlich, gleichwohl alsverbindlich behandelt wird, so daß man sie, aller besseren Einsicht zum Trotz, konserviert. Auf die