Heft 
(1979) 30
Seite
533
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Friedrich SpielhagensSturmflut 1 , FontaneEfli Briest und eine Anzahl von Romanen Wilhelm Raabes, vomHungerpastor bis hin zu dem RomanfragmentAltershausen.

Dem Autor, der von demgenetischen Strukturalismus Lucien Goldmanns (19131970) beeinflußt ist, geht es im Prinzip darum, Strukturen zu erken­nen bzw. die Erkenntnis von Strukturen (nämlich der Wirklichkeit durch den Dichter) zu untersuchen und die Beziehungen zwischen Wirklichkeits­struktur und Werkstruktur festzustellen. Sofern dabei als selbstverständ­lich angenommen wird, daß dichterisches Schaffen Erkenntnis zur Vor­aussetzung hat, steckt in diesem literaturtheoretischen Strukturalismus ein positives Element, was immer der Strukturalismus sonst beabsichtigen mag. Kafitz schreibt:Je objektiver die Weitsicht des Dichters ist, d. h. je mehr sie auf Erkenntnis der Wesensstrukturen des zu Erkennenden gerichtet ist, um so deutlicher ergibt sich eine Annäherung von Roman­struktur und Realitätsgehalt (S. 20). Als Maximalforderung, alsideell­struktureller Wertmaßstab kann Wirklichkeitsadäquatheit gelten, d. h. die Entsprechung von Romanstruktur und Sinnstruktur der Wirklichkeit (S. 23). Daß allerdings der Begriff Wirklichkeit, mit dem dabei gearbeitet wird, weder besonders scharf noch konkret ist, zeigt Kafitz Einschränkung, die besagt, daßsinnhafter Wirklichkeitsbezug zunächst nur ex negativo: im Vermeiden von Einseitigkeit faßbar wird (S. 23). Es soll,, Sinntotali­tät angestrebt werden (S. 22). DieserTotalität, deren Begriff aus der hegelianischen Ästhetik Friedrich Theodor Vischers übernommen ist, steht alsGegenpol einebloße Intentionsadäquatheit gegenüber,d. h. die Entsprechung von Romanstruktur und Verfasserideologie (S. 23).

Hier müssen unsere Einwände einsetzen. Die Stellungnahme des Ver­fassers gegen ein wie er sagtdogmatisch einseitiges Weltverständ­nis und gegenideologische Fixierung (S. 22) laufen nämlich auf eine Ablehnung der Parteilichkeit des Dichters hinaus.Die Entgegensetzung von Romangestalten, meint Kafitz,dient nicht mehr einer umfassenden Totalität, wenn der Erzähler einseitig Partei ergreift und damit einen vermittelnden Ausgleich verhindert (S. 16 f.). Kafitz nennt als Beispiele vulgärmarxistische Romane, in denen nach der Formulierung von Kafitzsich die Marxsche Dialektik des Klassenkampfes zur polemischen Entgegensetzung von Ausbeutern und Ausgebeuteten reduziert (Titel führt Kafitz nicht an) undgesellschaftskritiscE-moralisierende Romane wie Frey tagsSoll und Haben (S. 17). Man sieht daraus, was die Auf­forderung, dieTotalität der Wirklichkeit zu erfassen, letzten Endes bedeutet!

Wenn ferner im Anschluß an Lucien Goldmanndichterische Gestal­tung stattweltanschaulicher Perspektivierung verlangt wird (S. 89), so ist damit einebloß konstatierende Widerspiegelung der Wirklichkeit gemeint, die zwar Widersprüche und Probleme auf zeigt, sich aber nicht herbeiläßt, Lösungen anzubieten oder auch nur in der Perspektive anzudeuten. Es soll daher ein Vorwurf sein, wenn Kafitz bemerkt: Folgerichtig lehnen sowohl die sozialistischen Realisten wie der bürger­liche Realist Freytag eine bloß konstatierende Widerspiegelung der Wirk-