lichkeit ab“ (S. 87). Gleichwohl möchte Kafitz an anderer Stelle den Roman nicht so sehr als „Abbild“, sonder eher als „Vorbild“, „Leitbild“ und „Vorausbild“ betrachtet wissen (S. 21).
Der passiven Funktion, die Kafitz’ Theorie der Dichtung zuweist, entspricht ein nur loses Verhältnis zwischen Dichtung und Wirklichkeit, so daß zwischen Wirklichkeit und Werk nicht etwa eine „kausale Determiniertheit“, sondern lediglich ein „Ensprechungszusammenhang“ besteht (S. 21). Die solchermaßen behauptete Eigenständigkeit der Dichtung erlaubt die Existenz einer „Eigenlogik der Romanfiguren“ (S. 20), einer „Logik der fiktiven Romanwelt“ (S. 170). Und unter diesen Bedingungen versteht es sich auch, daß Kafitz, wiederum Lucien Goldmann folgend, nicht „von der bedingenden gesellschaftlich-sozialen (sic!] Situation“ ausgeht, sondern von der „Werkanalyse“, wenn Strukturhomologien ermittelt werden sollen (S. 26).
Kafitz’ Werkanalysen führen zu dem Ergebnis, daß die Struktur der untersuchten Romane Freytags und Spielhagens in einem „ganzheitlichen, den Einzelfiguren und Einzelsituationen ihren Stellenwert zuteilenden Ordnungsgefüge“ bestehe, während bei Fontane eine „Priorität der Einzelgestalten und begrenzten Situationen vor dem umspannenden Kontext“ vorliege (S. 156). Auch bei Raabe sei das „geschlossene Kompositions- gehäuse“ gesprengt (S. 229).
Den Grund für den Strukturwandel, der sich bei Fontane und Raabe gegenüber Freytag und Spielhagen vollzogen hat, sucht Kafitz zunächst in den sich verändernden Auffassungen der Dichter von den Beziehungen zwischen Gesellschaft und Individuum. Man könne sagen, ..daß Frey tag öffentliche und private Sphäre noch als Einheit erlebt, bei Spielhagen bereits Spannungen deutlich werden, die dann bei Fontane und Raabe als Gegensatz zwischen staatlich-gesellschaftlichen Strukturzwängen und individuellem Gestaltungswillen in Erscheinung treten, als Antagonismus, der humane Gegenkräfte provoziert, aber letztlich unüberbrückbar bleibt“ (S. 64). Bei Raabe stellt Kafitz ein „Auseinanderfallen von bürgerlichliberalen Wertvorstellungen und staatlich-gesellschaftlicher Ordnung" fest (S. 229).
Andrerseits jedoch — und das scheint für Kafitz das gewichtigere Argument zu sein — soll sich der Strukturwandel einfach daraus ergeben, daß Fontane und Raabe über ein reicheres und differenzierteres Weltbild verfügten, was nach Kafitz’ Meinung politische und ideologische Abstinenz voraussetzt. Fontane und Raabe, legt Kafitz dar, zeichneten sich durch ihre „Offenheit“ für die „Vielschichtigkeit der Wirklichkeit“ mit all ihren Widersprüchen und Spannungen aus (S. 156, 229). Das ermöglichte ihnen ein distanziertes, kritisches Beobachten. Dagegen habe bei Freytag und Spielhagen das „politische Engagement“, die Wahrnehmung geprägt, bei ihnen sei „eine wirklichkeitsausiegende Ideolodie Nährboden des Welt- und Menschenbildes“ gewesen. Sie hätten eine „parteipolitische Perspektive“ gehabt (S. 156), die „politische Tendenz“ habe die Struktur ihrer Romane bestimmt. Freytag sei von einer „dogmatisch eindimensionalen Weitsicht“ ausgegangen (S. 229). Dagegen sei Fontane und Raabe eine
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