Heft 
(1967) 5
Seite
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ßarbys eingeführt werden. Es ist nicht nur der alte Graf, der an London hängt und sich mit dem englischen Leben als verwachsen ansieht, auch die beiden Töchter teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Vor allem aber ist es Melusine, der die Welt ein Lebenselement ist, die den Blick ins Weite braucht; wie lebendig wird ihr Wesen in ihrer Ver­teidigung ihrer Kronprinzenufer-Wohnung gegenüber der Lennestraße, wo die Berchtesgadens wohnen: »Aber die Lennestraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat keinen Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, keinen Ver­kehr der flutet. Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der heran­kommenden Straßenbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und sehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigranwerk der Ausstellungsparktürmchen schimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwand dagegen?" Man wird an Fontanes Erlebnis des flu­tenden Londoner Lebens erinnert, als es noch keine Weltstadt Berlin gab. Weit und geschlossen, wie fein wird hier bereits die Thematik des Stechlin angedeutet. Melusine ist es denn auch, die immer stärker in den Vorder­grund tritt und besonderes Interesse für den geheimnisvollen Stechliner See mit seinen Weltbeziehungen zeigt und die seine Bedeutung ,recht eigentlich' erkennt.

Vorerst allerdings rückt Woldemar - rein äußerlich jedenfalls - in den Mittelpunkt und mit ihm wird das England-Thema weiter entwickelt. Es umfaßt die Kapitelgruppen »In Mission nach England" (Kap. 21 bis 24) und Verlobung. Weihnachtsreise nach Stechlin" (Kap. 25 bis 31), kommt also so ziemlich in der Mitte des Romans zur vollen Entfaltung.

Woldemar, Rittmeister im Garde-Dragoner-Regiment, das den Namen der Königin von Großbritannien und Irland führt, wird die Ehre zuteil, mit einer Deputation für sein Regiment nach London zu gehen. Es ist nicht nur eine Auszeichnung, deren sich Woldemar wohl bewußt ist, es eröffnet sich damit vielleicht eine glänzende Zukunft - wenn wir auch Czakos Worte: Sie werden natürlich Londoner Militärattache, sagen wir in einem halben Jahr, und in ebenso viel Zeit haben Sie sich drüben sportlich eingelebt und etabilieren sich als Sieger in einem Steeple-Chase . ." nicht wörtlich zu neh­men brauchen. Und doch liegt die Parallele zu Graf Barbys Laufbahn nahe. Was wird nun Woldemar aus solch einer Mission machen? Eine Mission, die sich Czako vom Alexanderregiment immer gewünscht hat, denn auch Petersburg istdie Welt", wenn er auch Colchester Austern über Astracha- ner Kaviar stellt, ist doch sein Blick - im Gegensatz zu dem des alten Stech­lin - mehr aufs freiheitliche England gerichtet. Mit welcher Kunst weiß Fontane durch seine zugespitzten Kontrastierungen Wutz und Windsor, Astrachan und Colchester ganze Ideenassoziationen hervorzubringen.

In die stille Welt des alten Dubslav fällt die Nachricht von Woldemars Auszeichnung und Englandreise wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und erst weiß Dubslav nicht recht, was er daraus machen soll. Wie wichtig diese

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