„denn sie is ja doch 'ne Domina und hat 'nen Rang". Daß man das Gesprächsthema bald auf den langen Aufenthalt der Barbys „drüben in England" lenkte, verstand sich von selbst, waren ja beide Töchter dort geboren; ebenso, daß man aus Höflichkeit den Gästen gegenüber nur Gutes über England zu sagen wußte, was immer die eigentlichen Gefühle Dubslavs oder auch Lorenzens sein mochten. Von diesen gesellschaftlichen Feingefühlen zivilisierter Menschen weiß die Domina allerdings nichts, und soviel Lob für England ist ihr unerträglich. England nach Koseleger „mehr als irgend ein andres Land ... ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte"? Das wurde ihr schließlich zuviel, und indem sie dem Gesetze ihrer eigenen engen Natur folgte und nicht dem einer verfeinerten Sitte, läßt sie ihre köstlich absurde Tirade gegen England los. Es gibt kaum eine humorvollere Behandlung der Phobie fremder Länder als Tante Adelheids vernebelte Analyse des nebligen Englands und seiner Bewohner und Geschichte, selbst Dickens' Mr. Podsnap nicht ausgenommen . 17 Auch wir haben unseren aesthetischen Genuß daran wie Koseleger, dessen These von der verfeinerten Sitte der Engländer von Tante Adelheid völlig auf den Kopf gestellt worden ist und deren Engländer durch ihren Umgang mit den Wilden fast selber wieder zu Wilden geworden sind. Koseleger aber läßt sich nicht irre machen und treibt das Spiel auf die Spitze, indem er als Gegenattacke zum Beweis des „drüben" entwickelten Lebens- und Gesellschafts-Raffinements, das Ausdruck einer höheren Kultur sei, die Geschichte von der schönen Londoner Herzogin und der „plastischen Künstlerin" erzählt, die ihren Prozeß gegen die Herzogin, der ,„die Bill', wie sie dort sagen", zu hoch war, gewann, weil sie die Richter davon überzeugen konnte, daß ihre Kunst im „Beautifying for ever" bestünde. Wie geschickt wird diese so modern anmutende cause celebre von Fontane verwendet. Plastische Kosmetik: Wie unvereinbar ist dieser Begriff mit den Frauen im Kloster Wutz, der Schmargendorf, der Triglaff und Tante Adelheid! Welcher Humor und welche Ironie! Das Wort „Horreur" besagt alles, was die Domina dafür empfindet, deren tiefe Prosa und deren „Mißtrauen gegen alles, was die Welt der Schönheit oder gar der Freiheit auch nur streifte", die sonst nicht unintelligente Domina zum Verkehr so unbrauchbar machte. Aber der Prosa ihrer Natur wird Genüge getan, indem über Coventgardenmarkt das Gespräch auf den Gemüsebau von Kloster Wutz gelenkt wird. Beautifying for ever - und die von den Schnecken schon angeknabberten Wutzer Erdbeeren: es ist nicht verwunderlich, daß die so freie und heitre Melusine, selber zum Teil ein Produkt jener freien Zivilisation, die Koseleger gerühmt, nicht in dem ihr ehrenvoll zugedachten Himmelbett des alten Stechliner Herrenhauses schlafen will, aus Furcht, Tante Adelheid möchte als Gespenst erscheinen. Windsor und Wutz sind unversöhnliche Gegensätze.
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