samkeit zu sein, wer dieses Gefühl entbehrte, für den war es peinlich. Für den Eitlen war Nummer 23 ein kurulischer Stuhl, für den weniger Eitlen ein Armesünderbänkchen. Denn man bilde sich nur nicht ein, daß ein Theaterkritiker ein Richter ist, weit öfter ist er ein Angeklagter. „Da sitzt dieses Scheusal wieder", habe ich sehr oft auf den Gesichtern gelesen. Mein Kritikerdebüt fiel auf den 15. oder 25. August Es wurde „Wilhelm Teil" gegeben, wohl mit Rücksicht auf die Zeitlage . . . der und der gab den Teil, Friedmann den Geßler. Ich fand die Vorstellung ziemlich langweilig, Friedmann aber sehr gut. Ich sprach dieses Lob auch aus, und zwar ganz ohne Einschränkung. Am zweiten Tag (damals ging es noch nicht so flink wie jetzt) stand es im Blatt, und schon gegen Mittag hatte ich einen Brief von Friedmann, ein stilistisches und kalligraphisches Meisterstück und wundervoll in einer Art Königshandschrift unterzeichnet: Siegwart Friedmann. Er schrieb mir, er müsse mir danken; er sei nun schon eine ganze Weile Schauspieler, aber das sei ihm noch nicht vorgekommen, daß ein Kritiker uneingeschränkt und bedingungslos gelobt habe. Dieser Brief hat damals einen großen Eindruck auf mich gemacht und ist nicht ohne Einfluß auf meine Schreibweise geblieben; ich habe vermieden, mit der Linken wieder zu nehmen, was ich mit der Rechten eben gegeben hatte. Natürlich ist dies nur möglich, wo man, sei's durch den einen oder andern Darsteller, hingerissen worden ist. Ist dies der Fall, so muß man sich die Freude des herzlichen Lobenkönnens nicht durch Hervorhebung mißglückter Kleinigkeiten halb verderben. Man schädigt sich dadurch in seinem eigenen Genuß. Anders liegt es natürlich da, wo man einer Leistung ruhig gegenübersteht oder wo sich Gutes und nicht Gutes balancieren, da muß man dann freilich seine Gewichte (?) in beide Schalen werfen." Doch wenn man den neuen Kritiker der „Voss" - so schreibt Herbert Roch über Fontane unter der Überschrift „Parkett und Kritik" 10 - für einen Mann gehalten hatte, der es weder mit den Schauspielern noch mit der Intendanz noch mit lebenden Autoren verderben wollte und geneigt wäre, über Mängel und Schwächen einer Aufführung oder eines Stückes mit schonender Sanftmütigkeit hinwegzusehen, so täuschte man sich und wurde bald eines Besseren belehrt. Als wenig später Fontanes Kritik über Gutzkows „Gefangenen von Metz" erschien, horchte das ganze theaterspielende und theaterlauschende Berlin auf, und an den Frühstücktischen der Hauptstadt entfuhr manchem Leser ein bewunderndes „Donnerwetter" über den Ton, der hier angeschlagen wurde. Fontane fährt fort: „Jeder verständige Mensch, der mal Kritiker gewesen ist oder noch ist, wird wissen, daß es zu den schwierigsten und peinlichsten Aufgaben des Metiers gehört, oft auch Berühmtheiten, ja, was schlimmer ist, auch solchen, die einem selber als Größen und Berühmtheiten galten, fatale Sachen sagen zu müssen. Aber da sind nun wieder Abstufungen. Liegt es bloß so, daß einem die Sache nicht gefällt oder auch anderen mißfällt, da kann man sich drum herumdrücken; das kann man
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