auch noch, wenn sie einem beinah mißfällt; man hebt dann die guten Dinge (Aushilfsmittel, unter denen Hervorhebung der „schönen Sprache' eine Hauptrolle spielt) mäßig hervor und gibt dem Tadel einen sehr ruhigen, überall abwägenden Charakter. Schlimmer, viel schlimmer wird es schon, wenn man sich über ein Stück ärgert. Aber auch hier ist noch Maßhalten möglich; ganz schlimm aber wird es, wenn man sich empört, wenn man in Indignation, in Wut gerät und einem das Gefühl kommt: ja, wenn du hier nicht das Tollste sagst, so ist das eine Feigheit; du mußt deiner Indignation Ausdruck geben. So lag es für mich, als ich diesen „Gefangenen von Metz' sah. Das Antifranzösische mochte noch gehen, aber es traf sich auch so, daß es auch ein antikatholisches Stück war, ja, das erst recht. Und ein von Borniertheit eingegebener Antikatholizismus ist mir immer etwas besonders Schreckliches gewesen. Und nun: in einer Zeit, wo eine zur Hälfte aus Katholiken bestehende deutsche Armee in Feindesland stand, in solcher Zeit ein antikatholisches Stück . . . Ich wußte nicht, wer mir schwerer auf die Nerven fiel: der Intendant oder der Dichter oder der Darsteller . . . Ich saß auf meinem Platz und wand mich vor seelischem und physischem Unbehagen. Es mußte dies wohl sehr stark in Erscheinung getreten sein, denn als der Vorhang nach dem 2. oder 3. Akt fiel, ergriff von seinem Parkettplatz her ein Herr meine Hand und sagte: „Lieber F., wenn Sie morgen darüber schreiben, vergessen Sie nicht, daß Gutzkow ein kranker Mann ist. Oder wenigstens war, sehr krank.'... Es half aber nichts, wenigstens nicht viel . . . Sollen immer erst ärztliche Zeugnisse eingefordert werden, so ist es mit aller Kritik vorbei, gleichviel ob der Kritiker ein Gerichtspräsident oder bloß der Insasse von Nummer 23 ist. Schlecht ist schlecht, und es muß gesagt werden. Hinterher können dann andre mit den Erklärungen und Milderungen (?) kommen.' 11
Die Aufführung von Gustav Freytags „Graf Waldemar' am 20. November 1886 fertigt Fontane mit dem lapidaren, sarkastischen Satz ab: „Wir leben in einer Epoche der Ausgrabungen und haben uns dank Schliemann und vielen anderen dieser Zeiteigentümlichkeit zu freuen. Ob auch der Ausgrabung des „Grafen Waldemar', ist fraglich.'
Über das Lustspiel „Schwere Zeiten" von Rosen schreibt er: „Der Erfolg des Stückes entspricht so ziemlich seinem Titel; es hatte mehr oder weniger durch .schwere Zeiten' zu gehen, und der beste, freilich auch schlimmste Trost, der ihm bleibt, ist der, daß seine .schweren Zeiten' keine lange Zeiten sein werden. Es kränkelt und wird bei dieser scharfen Luft bald sterben ..."
Das Abfassen der Kritiken hatte ihm immer und immer wieder „Bedenken, Zweifel, Qual' verursacht. Er verwendete unendliche Sorgfalt daran, Lob und Tadel gerecht zu verteilen, und schrieb seine Rezensionen in strengster Klausur, und wenn an einem solchen Morgen, während er hinter
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