verschlossener Tür am Schreibtisch saß und das jeweilige Stück noch einmal an sich vorüberziehen ließ, uneingeweihte Besucher kamen, wies sie die Aufwartefrau schon auf dem Treppenflur mit den Worten ab: „Bedaure, der Herr hat heute Kritik."
Diese Kritiken haben Fontane viel Mühe und Zeit gekostet. Aber das merkt man ihnen nicht an. Sie schwitzen nicht. Sie lesen sich wie seine Briefe, und was er darin beschreibt, angreift oder ablehnt, was ihn an einer Aufführung entzückte, hinriß, erheiterte, wirkt noch heute ganz unmittelbar und in aller Frische, erfreut das Herz und belebt den Verstand. Es gehört zu Fontanes Genie, daß er den Dingen die Schwere zu nehmen versteht, daß sie leicht werden unter seiner Hand und sich enthüllen, sich in ihrer Schönheit oder aber auch in ihrer ganzen Dummheit zeigen." 12
Die Theaterkritiken Fontanes sind, wie erwähnt, ein abgrenzbarer Teilabschnitt seiner reichen journalistischen Tätigkeit und damit ein stark zu beachtender Faktor innerhalb seines Gesamtschaffens. Er ist auch kein Theaterkritiker vom Fach, vor allem nicht in den Augen der zeitgenössischen professoralen Berufskollegen. Er vertritt nicht den „l'art pour l'art"- Standpunkt, hält nichts von Maximen, Grundsatz und Methode Im Jahre 1894 schreibt er: „Sie (die Berufskollegen) kennen mich zu gut, als daß sie nicht wissen sollten, daß der ganze, streitsuchende Krimskrams von Klassizität und Romantik, von Idealismus und Realismus, beinahe möcht' ich auch sagen, von Tendenz und Nichttendenz - denn einige der allergrößten Sachen sind doch Tendenzeinrichtungen - weit hinter mir liegt. Alles ist gut, wenn es gut ist". Und „gut" ist für Fontane alles, was wahr, alles, was menschlich ist.
Fontane fühlt sich aus eigener innerer Einstellung zu diesem Posten bei der „Vossin" berufen. „Meine Berechtigung zu meinem Metier", schreibt er am 2. Mai 1873 an den Schauspieler Maximilian Ludwig, „ruht auf einem, was mir der Himmel mit in den Weg gelegt hat: Feinfühligkeit künstlerischen Dingen gegenüber. An diese meine Eigenschaft hab' ich einen festen Glauben. Hätt' ich ihn nicht, so legte ich noch heute meine Feder als Kritiker nieder. Ich habe ein unbedingtes Vertrauen zu der Richtigkeit meines Empfindens." Dieses Empfinden hat ihn kaum je getrogen. In einem Brief an seinen „Tunnel"- und „Rütli"-Freund Karl Zöllner aus Neapel (3. November 1874) ergänzt er dieses Bekenntnis, wenn er schreibt: „Nichts ist rarer als innerliche Freiheit der Erscheinungen des Lebens und der Kunst gegenüber und der Mut, eine selbständige Empfindung auszusprechen."
Fontanes Rezensionen werden von Paul Schlenther, seinem Nachfolger als Theaterkritiker bei der „Vossischen Zeitung", als „Kritische Causerien über Theater" veröffentlicht. Mit diesem Titel ist zum Ausdruck gebracht, daß Fontane nicht nur als Briefschreiber und Dichter, sondern auch als Kritiker Causeur ist. Sowohl im Stil als auch in der künstlerischen Aussage
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