Buchbesprechung
Historischer Roman und epische Technik
Walter Wagner: Die Technik der Vorausdeutung in Fontanes „Vor dem Sturm" und ihre Bedeutung im Zusammenhang des Werks. Marburg, N. G. Eiwert Verlag 1966. (Marburger Beiträge zur Germanistik Bd 18.)
Seit kurzem greift die Fontane-Renaissance auch auf „Vor dem Sturm" über. Es spricht sich herum, daß dieser Roman im künstlerisch-weltanschaulichen Werdegang seines Autors eine Schlüsselstellung einnimmt; der Hinweis auf die unentwegte sträfliche Vernachlässigung des Werks durch die Forschung ist im Begriff, sich zu überleben. Mittlerweise geht sogar schon das Gerücht, wir besäßen, ohne es zu wissen und zu würdigen, in „Vor dem Sturm' einen historischen Roman „von der allerersten Sorte" (Walter Müller-Seidel) oder zumindest jedenfalls den „schönsten deutschen historischen Roman" (Peter Demetz). So begrüßenswert das neuerdings erwachte Wissenschaftsinteresse ist - vor solchen Überschwenglichkeiten muß gewarnt werden, weil sie die Gefahr einer abermaligen Verzerrung des Fontane- Bildes enthalten. Der epische Erstling des alten Fontane hat gewiß mancherlei Tugenden, nur nicht die eine, ohne die auch „Schach von Wuthenow", „Effi Briest", „Der Stechlin" heute tot und vergessen wären. Statt in Einklang mit dem Schicksal, das seiner preußisch-deutschen Welt objektiv be- schieden ist, tritt „Vor dem Sturm" dazu in ebenso absichtsvollen wie wirklichkeitswidrigen Gegensatz. Der Roman repräsentiert - man darf sich da getrost an die spätere Einstellung seines Verfassers halten - eine Entwicklungsstufe, die Fontane, um er selbst zu werden, zwar erreichen, vor allem aber hinter sich lassen mußte.
Walter Wagners Untersuchung fragt kaum nach derartigen Beziehungen, sondern sucht ebenfalls den „künstlerischen Rang des Werkes" (S. 10) zu ergründen. Das geschieht sehr einseitig, zu einseitig auch, um die erstrebte „Deutung des ganzen Romans (zu) ergeben, die ein angemessenes Verständnis von Gehalt und Gestalt" (ebd.) erlauben würde. Jedoch verfährt Wagner nüchtern und mit philologischer Sachlichkeit, was seine Arbeit vorteilhaft von früheren Unternehmungen Adelheid Bossharts und Peter Demetz' abhebt. Es stellt sicher, daß der Beitrag zum Verständnis des Werks erheblich bleibt.
Zugrundegelegt wird ein Abriß der „Romanstruktur", der den Handlungszusammenhang einerseits, andrerseits seine scheinbar sorglose, vielfältig erweiterte und ergänzte Verwirklichung im Ablauf des Erzählens einander gegenüberstellt. Dabei wird die gewöhnliche Ansicht bekräftigt, daß „Vor dem Sturm" additiv gefügt sei und zur Verselbständigung seiner Teile, ja zum Auseinanderfallen tendiere. Wagner räumt jedoch ein, daß Fontane wenigstens nicht ganz im Unrecht ist, wenn er die Komposition seines
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