Heft 
(1967) 5
Seite
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Vielheitsromans" gegen die Einwände Paul Heyses verteidigt. In den zahl­reichen Vorausdeutungen, mit denen der Text geradezu systematisch durch­setzt ist, in den Hinweisen also, die den Leser beizeiten vermuten lassen, welche Wende die Verwicklungen nehmen, welche Lösung sie endlich finden werden, erblickt Wagner das Gestaltungsmittel, durch dessen Hilfe es ge­lungen sei,die Masse des erzählten Stoffes zu formen und in den Zusam­menhang der Dichtung einzugliedern' (S. 31). Das ist die Ausgangsthese, die im Hauptteil der Untersuchung durchgeführt wird.

Wagner arbeitet mit erzähltechnischen Kategorien, die Eberhard Lämmert alsBauformen des Erzählens" (Stuttgart 1955) erkannt und beschrieben hat; er setzt allerdings, indem er seine eingehende, systematische Erörte­rung auf die verschiedenen Arten von Vorausdeutung beschränkt, nur einen Teil des reichhaltigen Instrumentariums ein, das bei Lämmert bereitliegt. Vor dem Sturm" begünstigt ihn dabei. Es ist unübersehbar und wurde auch vordem schon gesehen, daß die Vorausdeutungen hier besonderes Gewicht haben. Angefangen von den verheißungsvollen Versen, die Marie Kniehase und der Erlösung von Haus Vitzewitz gelten, bis hin zu den Vorzeichen, Prophezeiungen und Erwartungen, mit denen der Ausbruch des Befreiungs­krieges, das Anheben einer neuen Zeit vorweggenommen werden, begleiten sie die Geschehnisse des Romans. Teils sind es symbolische Züge und Mo­tive, teils einfach Stellungnahmen zu den Anstrengungen der handelnden Figuren und Mächte und zu ihren Aussichten. Grundsätzlich aber sind die Vorausdeutungen bedeutungsvoll, denn - Lämmerts Auffassung bewährt sich hier überzeugend - von Natur aus zielen sie auf wesentliche Vorgänge. Während sie die Erwartungen des Lesers steuern, geben sie die Intentionen des Dichters zu erkennen.

Dieser Sachverhalt kommt Wagner zugute. Die Untersuchung des Ge­brauchs, der vom erzähltechnischen Mittel der Vorausdeutung gemacht wird, gleitet nahezu unausbleiblich über in eine Untersuchung von Sym­bol-, Motiv- und Handlungszusammenhängen. Ihre sorgsam abwägende, dem Text nachgehende Darlegung ist der Vorzug von Wagners Arbeit. Hier erreicht sie allerdings auch schon ihre Grenzen. Denn verfolgt werden die Zusammenhänge lediglich in Richtung auf ihren existentiellen, ver­meintlich das menschliche Dasein schlechthin betreffenden Gehalt. Zurück­haltend in seinen Schlußfolgerungen, vermag Wagner dem Sinn gerecht zu werden, sofern Fontane sich selbst in dieser Richtung bewegt; die unent­rinnbare Determiniertheit des Menschen durch sein vorgegebenes Naturell, die inVor dem Sturm' eine wahrhaft fatale Rolle spielt, wird durchaus richtig verstanden. In die Irre führt Wagner freilich, wenn er geschichtlich und gesellschaftlich deternlinierten Zügen dieselbe existielle Auslegung zuteil werden läßt. Bernd von Vitzewitz stößt, als er das Fazit aus dem ge­scheiterten Überfall auf Frankfurt zieht, doch keineswegs auf die Schran­ken, die dem menschlichen Handeln überhaupt gesetzt wären. Er steht viel-

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