Heft 
(1968) 6
Seite
243
Einzelbild herunterladen

THEODOR FONTANE

Unveröffentlichter Dankes-Toast an den Rütli 1

Im Nachlaß Friedrich Fontanes befindet sich folgende maschinenschrift­liche Abschrift:

..Vermutlich Anfang Januar 1890:

Dankestoast bei einem Diner, ich nehme an bei Heydens, als der 70. Geburtstag Th. Fs im Kreise der Rütlionen gefeiert wurde.

Abschrift nach dem Orig.-Entwurf, den ich auf Rückseiten des märki­schen Aufsatzes ,Die Plünderung Kleessens 1806 unter König Murat fand. 2 [Fr. F.]

Mein lieber H. [wohl Professor Heyden],

laß mich Dir danken und noch ein paar Worte hinzufügen. Vor 8 oder 10 Tagen hat in Stuttgart eine alte Dame mit Namen Luise Schmidt ihr 75 jähriges Kunstjubiläum gefeiert. Natürlich war die alte Dame eine Schauspielerin und noch natürlicher eine sogenannte ,komische Alte, denn nur eine solche kann es so hoch bringen. Und ganz Stuttgart hat sich denn auch auf den Kopf gestellt und der König hat ihr gratuliert und der alte etwas steifleinene Prälat v. Gerok hat ihr einen Vers gestiftet, einen sehr hübschen kleinen Vers, den ich bitte als eine Art piece de resistance meiner Rede vorlesen zu dürfen. Er ist nur kurz und lautet: [... fehlt leider ...]

Nun also die alte Luise Schmidt hat es bis auf 75 Künstlerjahre gebracht, ich nur bis auf 70 Lebensjahre, was aber auch schon ganz respektabel ist, so respektabel, daß ich, wie der alte Oberpräsident v. Schön, dem Grund dieser glücklich erreichten 70 Jahre nachgeforscht habe. Ober­präsident v. Schön fand den Grund in einer glücklichen Zusammenwir­kung von Kant und Kapuste, ich meine den Grund in etwas Poetischerem gefunden, in einem schönen Lebenselixier dem Rütli. Und ich möchte ihm danken, ihm und Ihnen allen, die Sie mit Ihren wohlwollenden Gesinnungen hinter ihm stehen. ...

Zweite Fassung: Meine hochverehrten Herren und Damen!

Das große Wort Rütli ist gefallen. Ja, der Rütli. Die zweite Hälfte meines Lebens hat er ausgefüllt, die erste Hälfte hat er mit einer Art rückwir­kender Kraft durchleuchtet und aufgebessert. Meine 70 zerfallen genau in 2 mal 35. Die ersten 35 rütlileer, die letzten 35 rütlivoll, und wenn ich mir zusammenrechne, was ich in diesen zweiten 35 mit Hilfe des Rütli alles gelernt und erstudiert habe, so kann ich von 70 Studiensemestern sprechen, während welcher langen Zeit ich allwöchentlich die berühm-

243