keit nicht recht aufkommen. Er hat zwar zwei Töchter, eine bereits zwölf Jahr, aber er weiß kaum selber, wo sie herkommen, alles hat nur so um Gottes willen sich ereignet. Die Geschäftssorgen lassen endlich nach wie Zahnschmerzen; er atmet auf; er baut für seine Frau ein kleines japa- nesisches Gartenhaus etc. So wird er vierzig Jahr, morgen ist sein Geburtstag. Er steht früh auf, durchstöbert im Morgendämmer das Haus und findet in der Geburtstagsstube, als Geschenk für ihn bereits aufgebaut, ein reizendes Ölbild — das Porträt seiner Frau, wie sie als Mädchen war, damals war, als er sie heiratete. Er seufzt und fühlt zum ersten Male, daß er dreizehn oder fünfzehn Jahre lang ein alter Esel gewesen sei. Indessen denkt er ,never too late to mend‘, und mit dem Bewußtseip, fünfzehn Jahre früher eine schöne Frau gehabt zu haben, geht er nun ins Zeug und bestrebt sich nachzuholen, was er versäumt hat, also — ,späte Rosen!“ Eigentlich“, schließt Fontane diese Glosse, „eigentlich ist die Sache schlimmer, als ich sie hier geschildert habe, denn man sieht Stor- men beständig bibbern und zittern, wodurch die Affäre etwas höchst Bedenkliches kriegt.“ -
Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren: neben der rückhaltlosen warmherzigen Bewunderung die beißende Satire und parodistische Persiflage! Kann es — so möchte man fragen — überhaupt eine Erklärung für solche disparaten Urteile über ein und denselben Autor geben — es sei denn die der Charakterlosigkeit?
Als im Sommer 1910 Thomas Mann das Manuskript seines bekannten Essays über den „alten Fontane“ an Maximilian Hardens „Zukunft“ geschickt hatte, reagierte der Herausgeber höchst ungehalten. Der bahnbrechenden Entdeckung des Fontaneschen Genies durch Thomas Mann setzte er sein moralisches Verdikt über den Menschen Fontane entgegen. Besonders das widerspruchsvolle Verhältnis zu Bismarck, das er „falsch und lügnerisch“ nennt, kann und will Harden Fontane nicht verzeihen. In seiner Entgegnung verteidigt Thomas Mann die Ambivalenz der Fontaneschen Urteile. „Falschheit“, so meint er, sei „ein hartes Wort für Eigenschaften, die am Ende der Nährboden seines milden, stillen und weisen Dichtertums waren“; und er, Thomas Mann, wisse „keinen zweiten Fall, wo menschliche Charakterlosigkeit — oder Charakterschwäche — soviel künstlerischen Charakter, soviel Ton und Physiognomie hervorgebracht“ habe. Fontanes briefliche Äußerungen über Bismarck empfand er als den „Ausdruck einer skeptischen und medisanten Keckheit gegenüber der Größe“, einer Keckheit, die freilich in Deutschland, wo „eine Art Sklavendemut vor dem Genie landesüblich“ sei, befremden müsse. Ihm aber sei Fontanes „nur auf den ersten Blick zweideutiges Verhältnis zu Bismarck“ sympathisch; denn, so fährt er fort, „ich finde, daß die Größe nicht nur verehrungswürdig, sondern vor allem auch interessant ist, und ich finde, daß man lieben, verehren und dabei zweifeln kann, ja, daß diese Art
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