Liebe und Verehrung die tiefste ist. Aus guten Pamphleten lernt man. meine ich, mehr über einen Geist als aus Hymnen.“ :i Was Thomas Mann — ausführlicher und umfassender, als ich es hier rekapitulieren konnte — am Beispiel Bismarcks demonstriert, es gilt für nahezu alle Urteile Fontanes über bedeutende Zeitgenossen, und es gilt nicht zuletzt auch für das Verhältnis des Erzählers und Romanciers zu den Gestalten seiner Phantasie. Nur wenn man die Skepsis gegenüber dem eigenen Gefühl, die ständige rationale Kontrolle seiner Emotionen als ein ästhetisches Prinzip Theodor Fontanes begreift, wird man die Ambivalenz seiner Urteile nicht als Charakterlosigkeit ansehen, sondern als Versuch zu allseitigem Erfassen, zu objektivem Verstehen eines andersartigen Charakters. Fontane hat dieses Prinzip ganz bewußt angewandt. Schon 1863 spricht er, in einem Brief an Mathilde von Rohr, von seinem „raschblütigen, oft unvorsichtigen, auch wohl mal ungeziemenden Bummelton“ gegenüber „steinerner Würde und Superiorität“ 4 ; und als er im März 1896 den Storm-Essay an Julius Rodenberg zum Vorabdruck in dessen „Deutscher Rundschau“ sandte, schrieb er in dem Begleitbrief: „Ich war doch in einer kleinen Sorge, ob Ihnen diese Behandlung unseres Lieblings auch recht sein würde. Und doch konnte ich auf meine Schreibweise nicht verzichten, weil mir das Prinzip, nach dem ich dabei verfahre, so wichtig ist. Mein Interesse für Menschendarstellung ist von der Wahrheit oder doch von dem, was mir als Wahrheit erscheint, ganz unzertrennlich. Ich muß mich im Guten und Bösen, im Hübschen und Nichthübschen über ihn aussprechen können. Wird mir das versagt, so hört das Vergnügen für mich auf. Ich gehe aber noch weiter und behaupte: auch für andere. Das Zeitalter des Schönrednerischen ist vorüber, und die rosenfarbene Behandlung schädigt nur den, dem sie zuteil wird.“ 6 In seiner zweiten Autobiographie hatte Fontane hinreichend Gelegenheit, über seine Begegnungen mit zeitgenössischen Schriftstellern zu berichten. Daß er dabei „mehr das Menschliche als das Literarische zu betonen“ beabsichtigte, hat er ausdrücklich erwähnt, auch, daß er „an Schwächen, Sonderbarkeiten und selbst Ridikülismen“ nicht Vorbeigehen wollte. 6 Obgleich nun Fontane als einer der ersten den ästhetischen und literarhistorischen Rang der Stormschen Lyrik erkannt und verkündet hat, obgleich er Storms schriftstellerische Gewissenhaftigkeit und hohen Kunstverstand hervorhebt und den sprachlichen Zauber dieses dichterischen Werkes rühmt — im ganzen wird der Essay der Gesamtpersönlichkeit und dem Gesamtwerk Theodor Storms nicht gerecht. Die Proportionen sind zugunsten der — teils zutreffend geschilderten, teils stark übertriebenen oder in ihren Ursachen verkannten — „Schwächen, Sonderbarkeiten und Ridikülismen“ verschoben. Wilhelm Jensen hat in seinen Erinnerungen an Storm aus dem Jahre 1900 eine maßvoll-zurückhaltende Kritik an Fontanes Storm-Essay geübt, der wir im Prinzip noch heute
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