Heft 
(1968) 6
Seite
252
Einzelbild herunterladen

Storm. Heyse hatte sich schon hineingelesen und war entzückt. Er las mir die ersten Sachen vor, und ich säumte nicht, sein Entzücken zu teilen. Weihnachten erschien das Buch, und in dem ganzen Freundeskreis war keiner, der nicht an dem Entzücken teilgenommen hätte. Wir waren wohl die erste kleine Storm-Gemeinde ...

Nach der ersten persönlichen Begegnung im Hause Franz Kuglers am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1852 entwickelte sich bald eine lebhafte Korrespondenz zwischen Berlin und Husum, und im Juni des folgenden Jahres veröffentlichte Fontane in der .,Preußischen (Adler-) Zeitung einen längeren Artikel über Storm, der mit den Worten schließt: Es ist kein großer Dichter, auf den wir die Aufmerksamkeit des Lesers hingelenkt haben wollen, aber ein liebenswürdiger durch und durch und, wenn der Ausdruck gestattet ist, ein recht poetischer Poet. Was ihm an Vielseitigkeit abgeht, das ersetzt er durch Tiefe und Innerlichkeit, und seinen Dichterberuf bekundet er am sichersten in der richtigen Würdi­gung seiner Kraft und seines Talents. Nicht die Größe der Aufgabe ent­scheidet, sondern das ,Wie, mit dem wir die kleinste zu lösen verstehen. 11 Im Herbst 1853, als Storm abermals in Berlin weilte, wurde die Bekannt­schaft erneuert.Stofm war hier, fast vier Wochen, schrieb Fontane an seinen Freund Friedrich Witte.Das gab schöne, anregende Tage und eine Fülle, für die hier kein Raum ist. Er wird einer der Unsern, verläßt Husum und geht nach Potsdam. Wir bedauern es, ihn nicht unmittelbar unter uns zu haben. 10 Storm hat der herzlichen Aufnahme, die er bis zu seiner Übersiedlung nach Potsdam im Kreise der Berliner Literaten um Theodor Fontane erfuhr, stets mit Dankbarkeit gedacht; bedeutete sie doch für ihn Trost und Geborgenheit nach den ermüdenden und ent­würdigenden Bittgängen ins preußische Justizministerium und angesichts seiner ungewissen Zukunft.

Wie stark Fontane damals von Storm beeindruckt war, ja wie sehr er unter dem Einfluß von dessen Dichtung und Dichtungstheorie stand, geht aus einer anderen Stelle aus dem eben zitierten Brief an Witte hervor. Fontane gab diesem Freund Ratschläge für dessen poetisches Schaffen und schrieb:Wer Gedichte macht, wird immer in die Tonart eines Vor­gängers verfallen. Das echte Talent ist immer selbständig. Suche die Muse nicht; warte ab, bis sie Dich sucht... Wer denkt dabei nicht an die Theorie der reinen Erlebnislyrik, wie sie Storm kurz zuvor in Briefen an Hartmuth Brinkmann 11 entwickelt hatte und wie er sie wenig später in seinen Potsdamer Rezensionen 12 öffentlich vertrat? Und Fontane fährt denn auch in seinem Brief an Witte fort:Ich habe diese Dinge mit Theo­dor Storm ... jetzt oftmals durchgesprochen und im Hineinschaun in die Werkstatt eines bedeutenden und bewußten Talents (wie Storm es ist) erst wieder recht fühlen gelernt, welche ernste und schwere Sache das Versemachen ist.

252