Heft 
(1968) 6
Seite
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Hinter dem Interesse und der Bewunderung, die Fontane dem Dichter entgegenbrachte, stand aber die Sympathie für den Menschen Theodor Storm durchaus nicht zurück. In dem bereits erwähnten ersten Storm- Aufsatz Fontanes heißt es:Zu unserer Verehrung des Dichters Storm gesellte sich bald dig des Menschen, und der Glaube an die allgemeine Liebenswürdigkeit jenes niedersächsischen Stammes zwischen Elbe und Eider erhielt neue Nahrung durch ihn. Er besitzt zu den Eigenschaften seiner Landsleute: Ruhe und Festigkeit, noch die ganze Weichheit einer Poetenseele ... Er gehört zu jenen bevorzugten, immer seltener werden­den Naturen, die lachen und weinen können wie ein Kind und kämpfen und Opfer bringen wie ein Mann. 13

Fontane und seinen literarischen Freunden ging es damals nicht, wie er es später dargestellt hat, in erster Linie um die Gewinnung irgendeines neuen Mitarbeiters für ihre editorischen Pläne; vielmehr sahen und er­kannten sie in Storm einen Schriftsteller, der in der Lage war, ihren eigenen künstlerischen Bestrebungen zumindest im Bereich der lyri­schen Dichtung ein richtungweisendes Vorbild zu sein.Sie sind uns die Verkörperung von etwas ganz Besonderem in der Poesie, schrieb ihm Fontane im März 1853, kurz nach der ersten Begegnung. DasStormsche galt damals bei Fontane und seinen Freunden als eine fast normative ästhetische Qualitätsbezeichnung; der Name des Husumer Dichters wurde, nach Fontanes Zeugnis, zu einer Art Gattungsbegriff. l;1

Fontane und Storm gehörten zu jener Generation deutscher Schriftsteller, die unmittelbar nach der gescheiterten Revolution von 1848 zuerst in die Öffentlichkeit getreten sind. Die allgemeine Resignation, die große Teile des deutschen Bürgertums damals befallen hatte, drückt sich in unter­schiedlicher Weise auch in der Literatur der fünfziger Jahre aus. Selbst die bedeutendsten Talente unter den jungen Autoren, die nichts weniger beabsichtigten als eine Apologie von Reaktion und Konterrevolution, konnten sich dieser Resignation nicht entziehen. Sie verzichteten darauf, der Menschheit große Gegenstände in ihren Werken zu gestalten und wandten sich hauptsächlich der Darstellung des bürgerlichen Kleinlebens und der Schilderung privater menschlicher Beziehungen und Konflikte zu. Auch die Attitüde des alten oder alternden Mannes, die Storm in mancher seiner frühen Novellen, vor allem inImmensee, einnimmt ganz ähnlich übrigens wie Raabe in der wenig später entstehendenChro­nik der Sperlingsgasse, muß als künstlerischer Ausdruck jenes Lebens­gefühls gewertet werden, das für weite Teile des deutscher Bürgertums jener Zeit charakteristisch, weil die Folge seiner nachrevolutionären gesellschaftlichen Situation ist. Und eben dieses von Lethargie und Resi­gnation bestimmte Lebensgefühl, das vom politischen und gesellschaft­lichen Bereich auf das gesamte Denken, Fühlen und Verhalten übergreift,

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