hat wohl niemand so großartig in Poesie gesetzt wie Storm in der ..Immensee“ -N ovelle.
Das bedeutet nun freilich nicht, daß Storm selbst ein Opfer jener Resignation und Lethargie gewesen wäre. Wieder war es Fontane, der besonders auch auf die männlich-kraftvollen, lebensbejahenden Züge in Storms Werk aufmerksam gemacht hat — auf Züge, wie sie am deutlichsten im „Oktoberlied“ in Erscheinung treten. Gertrud Storm hat als erste die Behauptung aufgestellt, daß dieses Gedicht als ein „Protest gegen das Überwuchern der politischen Stimmung“ 15 entstanden sei, und nahezu die gesamte Storm-Forschung, bis hin zu Franz Stuckert 10 , hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Im Lichte der jüngsten Forschungsergebnisse freilich dürfte jene Interpretation schwerlich aufrechtzuerhalten sein. Die Korrespondenzberichte und Artikel, die Storm von April bis Dezember 1848 für die Schleswig-Holsteinische Zeitung verfaßt hat und die unlängst durch Hans-Erich Teitge wieder zugänglich gemacht worden sind (im Anhang zu der von ihm besorgten Ausgabe des Briefwechsels zwischen Storm und Theodor Mommsen) 17 —, diese Dokumente sind geeignet, die Legende vom unpolitischen oder gar antipolitischen Dichter Theodor Storm endgültig zu zerstören. Als Ende Oktober 1848 die Verse entstanden, die Storm später an die Spitze seiner Gedichte gestellt hat, war die schleswig-holsteinische Bewegung von der preußischen Regierung verraten, das Land der dänischen Krone preisgegeben worden. Angesichts der ernsten Lage, in der sich in dieser Zeit die Herzogtümer befanden, müssen die optimistischen, lebens- und hoffnungsfrohen Töne des „Oktoberlieds“ vielmehr als ein poetischer Sieg über Resignation und Verzweiflung gewertet werden. Nicht „gegen das Überwuchern der politischen Stimmung“ wurde das „Oktoberlied“ geschrieben; im Gegenteil: die Verse waren geeignet, Trost und Verheißung wie auch neuen Mut all denen zu spenden, die damals als demokratische Patrioten in Versuchung gerieten, die Hoffnung aufzugeben und den Mut sinken zu lassen.
In diesem Sinne dürfte das Gedicht auch gewirkt haben, nicht bloß in Schleswig-Holstein, sondern im gesamten nachrevolutionären Deutschland, und sicher ist es kein Zufall, sondern bewußtes Programm, daß Theodor Fontane im Jahre 1853 sein „Deutsches Dichteralbum“, eine Anthologie zeitgenössischer Lyrik, mit dem „Oktoberlied“ eröffnete. Als Storm im gleichen Jahr seinen sechsunddreißigsten Geburtstag gemeinsam mit Fontane in Berlin feierte, da schrieb dieser, unter parodistischer Verwendung des „Oktoberlieds“, ein Huldigungsgedicht für Storm, dessen zweite Strophe lautet:
Und geht es draußen noch so toll Und hängt die Welt voll Knuten,
Kein Mucker und kein Hassenpflug Soll unsren Mut entmuten!“ 18
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