ins Leben gerufen hatte und der nur wenige Mitglieder zählte. Sooft es ihm möglich war, fuhr Storm von Potsdam aus zu den „Rütli“-Sitzungen nach Berlin hinüber, und gelegentlich besuchten ihn auch die „Rütlionen“ in seiner Potsdamer Wohnung. In der intimen Atmosphäre dieses kleinen Kreises trug Storm mit Vorliebe eigene Dichtungen vor, und hier war es auch, wo Fontane ihn „so Wahres und Tiefes“ über Literatur und Ästhetik sagen hörte wie keinen andern.
Doch durch ebendiesen geselligen Verkehr traten im Laufe der Zeit auch die Gegensätze in Charakter und Temperament der beiden Dichter hervor. Aus dem Briefwechsel des Jahres 1854 läßt sich ablesen, daß es wiederholt zu kleineren oder größeren Verstimmungen gekommen ist, die man freilich mit dem besten Willen von beiden Seiten wieder aus der Welt zu schaffen suchte. Immerhin glaubte Fontane nach vierzig Jahren noch, sich gegen den Vorwurf der Frivolität verteidigen zu müssen, den Storm seinerzeit gegen ihn erhoben hatte. Auf eine weitere Ursache für die fortschreitende Entfremdung hat Fontane hingewiesen, indem er über Storms Verhältnis zu Preußen meinte: „Er hätte zufrieden sein können, aber er war es nicht und zog es vor, ... mehr oder weniger den politischen Ankläger zu machen.“ Zweifellos urteilt Fontane hier ungerecht, möglicherweise aus mangelnder Kenntnis der wirtschaftlichen Lage wie auch der seelischen Verfassung Storms während seines ersten Potsdamer Jahres. Es ist hier nicht der Ort, eine Beschreibung von Storms Potsdamer Zeit zu geben; die Briefe in die Heimat vermitteln ein deutliches Bild, welche Verzweiflung ihn angesichts der trostlosen Gegenwart und der ungewissen Zukunft oft überkam. Das Gefühl der persönlichen und gesellschaftlichen Bedrückung, das er in Potsdam nie völlig losgeworden ist, und die Sehnsucht nach der Heimat waren die Ursachen dafür, daß Storm einen Ausgleich in der privaten häuslichen Sphäre suchte und sich dort ein Refugium, eine Art Husum im kleinen, schuf
Fontane hat diese — von ihm so genannte — „Husumerei“ als eine bis zum Grotesken gesteigerte „Provinzialsimpelei“ empfunden. Erstaunt, ein bißchen amüsiert, im Grunde aber verständnislos stand er einem Phänomen gegenüber, dessen Ursachen er nicht zu begreifen vermochte. Er sah nur das nach seinem Empfinden Ridiküle einer Erscheinung, die nichts anderes war als Storms Reaktion auf seine als fremd und feindlich empfundene Umwelt. Freilich sah er auch — und als Außenstehender um so deutlicher — das Gefährliche einer solchen Reaktion; denn er verteidigte gegenüber Storm nicht allein Preußentum gegen Husumerei — damit bliebe sein Urteil in ähnlicher provinzieller Beschränktheit befangen —, sondern zumindest im Ansatz und in der Intention auch den nationalen Standpunkt gegen den bloßen Stammespatriotismus. Als Storm einmal brieflich Kritik an dem „Berliner Wesen“ geübt hatte, in dem er besonders jene sittliche Bildung vermißte, die „jeden Augenblick das
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