Und auf Seite 4 vom Falschen Woldemar li ist folgende Stelle angestrichen:
Denn wer leidet, meint, ihm ginge es zum schlimmsten, und er vergißt im eigenen Schmerz den Schmerz, den Andere leiden und vor ihm gelitten. Ja unser Gedächtnis ist dann so kurz, daß uns das ehedem Erduldete gering vorkommt gegen das Uebel, unter dem wir im Augenblick seufzen. So vergaßen wir, als der Druck der Franzosen auf uns lastete, des Druckes, den die Großväter und Urgroßväter im siebenjährigen Kriege ertragen. Und so hatten Die dazumal vergessen, um wie viel schlimmer der dreißigjährige war.
Das sind nun ganz offenbar Wendungen an den Leser, wie sie Spielhagen zu mißbilligen pflegte. Das geht besonders aus den letzten zwei Beispielen hervor, wo von einem „wir“ — dem Erzähler und seinen (märkischen) Lesern — die Rede ist. Man darf nur nicht annehmen, Fontane habe solche Stellen wegen ihrer „technischen“ Eigenart angestrichen, darum also, weil sie eben Wendungen an den Leser sind. Ihn interessierte vielmehr der Inhalt, die Gedanken und Lebensanschauungen, die sie verkörpern. Trotzdem ist es bemerkenswert, daß er in erster Linie gerade diese Dinge und nicht etwa die Handlung oder die Charaktere schön fand. Sind das für ihn die Lichtpunkte, wenn er Alexis liest, so wird es ihm wohl auch bei der Lektüre von Thackeray und Scott ähnlich gegangen sein. Und es kann nicht wundernehmen, daß solches auch dann in seinem eigenen ersten Roman stark hervortritt.
III
Was sind nun jene Stellen aus Vor dem Sturm, an denen der Rezensent und Spielhagen-Anhänger Zabel Anstoß nahm? Es sind selbstverständlich z. T. die Reflexionen, mit denen der Roman durchsetzt ist. Wo Zabel aber von den „direkten Wendungen an den Leser“ spricht und von einem „Stilgesetz des Erzählers, daß er mit seiner Person nirgends hervortreten darf“, da werden wir schon eher daran erinnert, wie Fontane z. B. am Anfang des zweiten Kapitels seinen Leser auffordert, sich mit ihm an den Kamin von Hohen-Vietz zu setzen; 10 wie er im zwanzigsten Kapitel den Leser um Nachsicht bittet, wenn er ihm gegen die Gesetze guter Erzählung eine „Porträtgalerie“ von abgeschlossenen Gestalten vorführt; 17 oder wie er dann, ganz am Schluß des Romans, seine eigene Person als Besucher des Klosters Lindow einführt, der den Namen Renate von Vitzewitz auf einem der Grabsteine liest. 18
Nach Fontanes Verteidigung des Romans in dem Brief an Hertz zu schließen, wäre ein solches Hervortreten des Erzählers etwas ganz Unbefangenes, ja Selbstverständliches, was keiner nachträglichen Korrektur bedürfte. Das Manuskript von Vor dem Sturm belehrt uns aber eines Besse-
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