Heft 
(1968) 7
Seite
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GOTTHARD ERLER (BERLIN)

Ich bin der Mann der langen Briefe

Bekanntes und Unbekanntes über Fontanes Briefe

(Es handelt sich um den gekürzten Text eines Vortrages, der am 23. Februar 1968 im Fontane-Archiv gehalten wurde.)

Theodor Fontane war nicht sicher, ob sichtalent epistolaire am Ende mit e schreibt oder nicht, aber er verfügte souverän über das, was er so gern mit dem französischen Wort bezeichnet»: das Briefschreibetalent. Er hat es durch sechs Jahrzehnte hin mit Fleiß geübt und mit Sorgfalt kultiviert, und wir verdanken ihm eine heute noch nicht recht über­schaubare Fülle von Briefen.

Allein an seine Frau will der Dichter zehntausend Briefe geschrieben haben. Sicher übertrieb er dabei ein wenig; wenn man jedoch berück­sichtigt, daß praktisch die gesamte Korrespondenz aus der fünfjährigen Brautzeit nach Emilie Fontanes Tod ungelesen verbrannt werden mußte und daß Frau Emilie offensichtlich zahlreiche weitere Briefe und ganze Briefzyklen selbst vernichtet hat, dann rückt jene Angabe durchaus aus dem Bereich des gänzlich Unwahrscheinlichen. Auch im Briefwechsel mit seinen Kindern und seinen Freunden klaffen bekanntlich empfind­liche Lücken. Zahlreiche Korrespondenzen, die er mit Sicherheit führte, sind nicht überliefert, und überdies dürften auch in Zukunft Briefe aus Privatbesitz auftauchen. Es ist daher schwer, die Gesamtzahl der Briefe zu schätzen, die Fontane im Laufe seines Lebens geschrieben hat. Fest steht, daß ungefähr 5000 Briefe erhalten sind, und vermutet werden darf, daß er mindestens die doppelte Anzahl geschrieben hat. Wenn man bedenkt, daß von Lessing nicht ganz 600, von Lichtenberg rund 800, von Schiller etwa 2000, von Heine 1400, von Keller 1300 und von Storm etwa 3000 Briefe bekannt sind, dann weist sich Fontane schon durch die Quantität seines Briefwerkes als einer der fleißigsten Epistolographen der deutschen Literatur aus. Er kann sich selbst mit den 13 500 Briefen, die Goethe, und den rund 20 000 Briefen, die Thomas Mann zum Absen­der hatten, messen.

Diese imponierende Zahl von 5000 Briefen, die sich ich muß das wiederholen nur auf das zugängliche Minimum bezieht, verleiht einer gelegentlichen Bemerkung Fontanes Glaubwürdigkeit, nach der die ein­zig absolute Promptheit seines Lebens die briefschreiberische ge­wesen sei.

Entscheidend scheint mir, daß Fontane dieseBriefbeantwortungsprompt­heit nie als Belastung, sondern stets als Tugend empfand. Er war, wie er es einmal formuliert hat, in seinem eigensten Herzen geradezuBrief -

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