Heft 
(1968) 7
Seite
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Schwärmer, und zwar als Leser und als Schreiber. Brieflicher Kontakt blieb ihm ein Lebenlang Herzens- und Geistesbedürfnis, Briefe zu schreiben war ihm künstlerische Passion.Briefschreibetage bildeten einen festen Bestandteil seines Arbeitsprogramms, und wenn sie nicht gerade derfurchtbaren Dichter-Repräsentationskorrespondenz gewid­met werden mußten, dann waren diese Tage die erquickenden Ruhe­stationen in einem arbeitsreichen Dichteralltag. Im November 1893, mitten in der Manuskriptarbeit anEffi Briest, notiert er:Dies ist der dritte Wochentag und auch der dritte Brief schreibetag; ich erhole mich dabei, nachdem ich mich an meinem Roman ... ganz dumm korrigiert habe. Mit sichtlichem Vergnügen berichtet er von derApplanierung eines Briefberges, der sich zu seinem siebzigsten Geburtstag aufge- häuft hat. Selbst in Zeiten destotalen Abattuseins, derNerven- pleiten, der körperlichen Beschwerden, die ihn mit zunehmendem Alter häufiger zu schaffen machten, rafft er sich zu ein paar freundlichen Zeilen auf. Denn der Brief war für ihn eine Form derlichtgebenden Debatte, der geistigen Anregung, der direkten Beziehung zur Umwelt. Eigentlich, bemerkt er am 24. April 1894,wohnt mir die Neigung inne wie ich auch im persönlichen Verkehr sehr plauderhaft bin, auf solchen interessanten Brief, der zehn Fragen anregt, gleich zu ant­worten: ich habe mirs aber abgewöhnt, abgewöhnen müssen, weil man sonst in einer richtigen Korrespondenz drin sitzt, man weiß nicht wie...

Fontane erlegte sich keineswegs bei allen Partnern eine solche Selbst­beschränkung auf. Im Briefwechsel mit seiner Familie, vor allem mit seiner Frau, forderte er für seine Briefleidenschaft ganz andere Opfer. Er entwickelte zeitweise ein präzis terminiertes Korrespondenzpro­gramm, dessen Einhaltung er mit fast pedantischer Sorgfalt überwachte. Es gab feste Brieftage, meist der Mittwoch und der Sonnabend, und er hielt Frau Emilie regelmäßig an, auch ihrerseits die bewußten Schreibtermine genau zu beachten. An diesen Tagen war dann über dienormalen Angelegenheiten der Familie und der Bekanntschaft zu referieren. Be­sondere Ereignisse wurden dagegen nicht in diesen Briefen erörtert, und Fontane ließ dergleichen Ereignisse gern stattfinden, wenn Frau Emilie verreist war. So entging er den direkten Auseinandersetzungen und konnte statt dessen die Eloquenz seiner Briefe ins Feld des Ehezwistes führen. Ein beredtes Beispiel für die Trennung von Alltäglichem und Außerordentlichem ist der Brief vom 11. Mai 1870, in dem Fontane sei­ner in London weilenden Frau eröffnet, daß er seine Stellung bei der Kreuzzeitung aufgegeben habe. Emilie wird in einem Postskriptum zu folgendem Verfahren auf gef ordert:Schreibe mir am Sonnabend einige ruhige Zeilen als Antwort. Unsre gewöhnliche Korrespondenz erleidet keine Störung oder Änderung. Ich schreibe am Sonnabend wie immer

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