Heft 
(1969) 8
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12. Trotz der alsbald einsetzenden und nun seit mehr als hundert Jahren laufend vollzogenen Vermischung von Altbewohnem und Zuwande­rern 52 ermittelte Fontane noch aus eigener Beobachtung eine Fülle volkskundlicher Relikte, die er alsspeziell wendische Eigentümlich­keiten ins Feld führen kann 53 . Vor Wohnweise und Hausbauart in den Altdörfern, vor Merkmalen der Wirtschaft und vor abergläubi­schen Erscheinungen gab er hierbei den Vorzug derwendischen Tracht, deren Überreste sichin einigen Dörfern bis auf diesen Tag erhalten haben. In Vollständigkeit existiert sie nur noch in Quilitz, dem gegenwärtigen Neu-Hardenberg 5 '*.

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Die vorstehend in 12 Punkten zusammengefaßten Angaben Fontanes, die sich im engeren geographischen Sinn auf das Oderbruchgebiet beziehen, stellen sich in ihrem Kernstück (Punkt 5 bis 8) zugleich als Apologie der slawischen Restbevölkerung Deutschlands schlechthin dar. In diesem Kernstück steht Fontane so will uns scheinen fest eingebettet in die Tradition einer seit dem Aufklärungszeitalter deutlich zutage tretenden humanitär Philanthropen Strömung, die sichvielfach versetzt mit Naturschwärmerei und Liebhaberei für ländliches Wesen im Stile Rousseaus 55 vor allem in der regionalgeschichtlichen sowie der ökonomi­schen und der Reiseliteratur des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich bemerkbar machte. Viele deutsche Autoren der genannten Gattung brachten den slawischen Untertanenmitfühlen­des Verständnis entgegen, stellten ihnen ein günstiges Zeugnis aus, und nahmen sie gegen Verachtung und Unterdrückung in Schutz 56 . Um einen Vergleich mit Fontane zu ermöglichen, sei darum nachstehend eine Reihe konkreter Beispiele aus in ihrer Art bedeutenden Schriftstellern der ihm voraufgehenden Jahrzehnte angeführt, die wir alspars pro toto gewer­tet wissen möchten, weshalb die Frage, ob Fontane gerade die pro exemplo angeführten Stimmen gekannt hat, genauso zurücktritt, wie der Umstand, daß diese Stimmen sich nicht auf das Oderbruch beziehen, sondern auf die sorbischen Lausitzen, also jenen Bereich, in dem die Realität des deutsch-slawischen Spannungsfeldes auch von der sprach­lichen Seite her nicht in Zweifel zu ziehen ist.

Das anthropologische Moment pflegte in nahezu allen Darstellungen jener Epoche eine vorrangige Stellung einzunehmen, und zwar durchaus zu­gunsten der Wenden: Ihnen sagt der Wirtschafts- und Staatswissenschaft- ler J. E. Schmohl (1781) nach, daß siebei großen körperlichen Kräften auch große Geisteskräfte besitzen, sowieauf Recht und Ordnung hal­ten 57 , Chr. A. Peschek (1790) schildert die Männerals muskulös, stark,

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