Heft 
(1969) 8
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Eine allerdings etwas jüngere Darstellung zur Situation der Lausitzer Sorben hat Fontane im Anmerkungsteil seiner Erstausgabe desOder­landes als Quellenbeleg veröffentlicht 70 . Es handelt sich dabei, wie er selbst bemerkt, um eineinteressante Zuschrift, welche dieNational­zeitung im Herbst des seiner Bearbeitung vorangehenden Jahresaus Bautzen, dem alten wendischen Budissin erhielt 71 .

Gegenüber der vorstehend charakterisierten Gruppe wendenkundlichen Schrifttums fällt der nationalistische Grundton dieser Zuschrift auf. Sie beurteilt die Sorben gänzlich aus dem sieghaften Vollgefühl der Über­legenheit des deutschen Bürgers und wertet alle Phänomene jener Tenden­zen zur bürgerlichen Nationwerdung der Sorben, die man zumeist mit dem traditionellen Begriff derWiedergeburt bezeichnet hat, alspan- slawistische Agitation ab. Germanisierung wird aus solchem Blickfeld zur Kulturmission:Was rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit die Übermacht unserer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die Wenden haben aufgehört zu exstieren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger sind, immerhin einige Teilnahme, denn es geht ein einst­mals mächtiges Volk seinem Ende entgegen ! 72

Zwar tendiert Fontanes Wendenbild im ganzen gesehen mehr zur Philan­thropen Aufklärungsliteratur, doch zeigen sich in seiner Wertung der Kultuvierung des Oderbruchs im Zeichen der friderizianischen Koloni­sation zugleich unverkennbare Züge der erwähnten Zuschrift. Eine An­näherung wurde ihm gewiß dadurch erleichtert, daß die Zuschrift wie schon zitiert die Sorben immerhin mit einigerAnteilnahme behan­delt: Ihre statistischen Angaben waren zwar recht unsachlich 72 , doch wurde dem damals deutlichen Aufschwung der nationalkulturellen und literarischen Entwicklung um Bautzen Anerkennung nicht versagt, und der Wohlklang der slawischen Sprache fand besondere Hervorhebung. Schließlich stimmte der Verfasser der Zuschrift mit vielen Aufklärern und auch mit Fontane in der Schilderung der nationalen Exklusivität der Wenden durchaus überein.

Des Oderbruchs wurde verständlicherweise in der Zuschrift aus Budissin nicht gedacht. Und aus der Vielzahl der älteren literarischen Stimmen war es lediglich Gleim 74 , der in seiner Gesamtbetrachtung der inzwischen germanisierten Slawengruppen Deutschlands, bei denen sicheigentüm­liche Sitten und Trachten erhalten haben, auch dieses Landstrichs ge­dachte. Allerdings setzte Gleim von vornherein ein Fragezeichen, indem er formulierte:Ich weiß nicht, ob die sonderbare Tracht der Bewohner des Oderbruchs auch als Überrest aus der slawischen Zeit hierher zu rechnen ist.

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