Aber auch aus dem Schriftgut zur Landesgeschichte speziell Brandenburgs, auf dessen Benutzung Fontane sich an gleicher Stelle 75 beruft, war — wenn überhaupt — nur im Hinblick auf sehr weit zurückliegende Jahrhunderte etwas über den slawischen Charakter der Oderbruchgegend zu erfahren. Es mag hier genügen, auf Heinrich Berghaus zu verweisen, der Fontane zeitlich am nächsten stand 75 und zugleich die ältere — beiden bekannte — Fachliteratur 77 gewissenhaft und kritisch ausgewertet und kommentiert hat.
Wie anderwärts, so trug Berghaus 78 auch zur Frage der Slawität des mittelalterlichen Territoriums Lebus viel interessantes Quellenmaterial zusammen, interpretierte mit Sorgfalt alte Urkunden und war um die Erschließung auch onomastischen Wortgutes redlich 79 bemüht. So hat er sicherlich Anteil am Formen der Überzeugung Fontanes, daß das slawische Volkselement den spezifischen Charakter dieser Landschaft entscheidend geprägt hat. Möglicherweise war es daneben eine seinerzeit aufsehenerregende Mitteilung des Frankfurter Altertumsforschers C. W. Spicker aus dem Jahre 1835 über den „Wendengott des Oderbruchs“ 80 , die, veranlaßt durch archäologische Funde, Fontane und seine Zeitgenossen bewegte.
Dennoch vermissen wir allenthalben konkrete Hinweise auf die Fortexistenz wendischer Volksteile mit einigermaßen greifbaren Erkennungsmerkmalen bis in die neuere Zeit. Es sei denn, wir wollten die Schilderung der Dorfanlagen des Oderbruchs, wie sie vor dem Einsetzen der Kolonisationsarbeiten bestanden 81 , als indirekten Hinweis in dieser Richtung betrachten. Man darf also zusammenfassend sagen:
1. Fontanes Angaben über die älteren slawischen Traditionen des Oderlandes sind aus der von ihm angezogenen Fachliteratur zu belegen.
2. Seine These vom Fortbestehen des Wendentums bis Mitte des 18. Jahrhunderts, und z. T. darüber hinaus, kann dagegen als durchaus originell und als Ergebnis eigener Erwägungen und Beobachtungen im Terrain, vielleicht auch der Auswertung von mündlichen Mitteilungen, beurteilt werden.
3. Zur Milieuschilderung der neueren „Wendenzeit“ regten ihn weitgehend entsprechende Aussagen von Augenzeugen aus den Lausitzer Sorbengebieten an. Doch erfolgte die Übernahme stets kritisch und nach gewissenhaftem Abwägen der einzelnen in Frage kommenden Merkmale.
6
Der Einfluß, den Fontanesche Darstellungskunst nun ihrerseits auf die Meinungsbildung über märkische Traditionen im allgemeinen und über das Oderbruch im besonderen ausübte, ist oftmals und nicht erst in unse-
396