schüttern sind. Im Gegenteil: Sein Suchen nach der historischen Wahrheit, seine scharfe Beobachtungsgabe, seine Fähigkeit, aus vergleichbaren Situationen anderwärts 116 recht treffende Analogieschlüsse zu ziehen, seine hoch entwickelte Quellenkritik und nicht zuletzt eine erstaunliche Bescheidenheit, die Grenzen und Lücken der eigenen Erkenntnismöglichkeit nicht verschweigt, verdienen noch heute unsere ungeteilte Bewunderung. Jedenfalls steht er in dieser Beziehung weit über allen seinen Kritikern, auch über denen, die nicht als Literaten, sondern als Vertreter landeskundlicher Disziplinen das Wort ergriffen haben.
Wenn Fontane nicht zur in früheren Jahren behandelten Spreewaldthematik zurückkehrte 117 , sondern das Oderbruch sozusagen als branden- burgische Wendenlandschaft per excellence zum Schauplatz seines ersten großen Romanwerkes gemacht hat, dann doch wohl auch darum, da er sich in diesem lokalen Bereich durch seine persönliche Bindung an Letschin besonders zu Hause gefühlt hat 118 . So sollten wir wohl auch mit der nötigen Bescheidenheit in Rechnung stellen, daß das von ihm während der vierziger Jahre des vergangenen Jahrunderts so intensiv erlebte und nach Altertümern gesichtete Letschin der „Wendenzeit“ um einiges näher lag als dem gegenwärtigen Forscher.
Doch hat sich der Romancier nicht etwa damit begnügt, das lokale Kolorit zahlreicher Reliktphänomene einer auch nach der Eindeutschung noch spürbaren Wendenlandschaft in seine Handlung einzubauen 119 , er machte in den Disputen zwischen Justizrat Turgany und Pfarrer Seidentopf zugleich prinzipielle Fragen deutsch-wendischer Wechselseitigkeit zum integranten Bestandteil seines Werkes 120 . Sicher ging es ihm dabei nicht nur und auch nicht in erster Linie um archäologische Dinge, obwohl sich der Streit konkret an diesen entzündet. Seidentopf — eine übrigens nicht ohne viele sympathische Züge gezeichnete Figur — steht wohl stellvertretend für jene zahlreichen „Seidentopfs“, deren Kritik sich Fontanes Wendenbild entweder schon damals ausgesetzt sah, oder mit deren im Vollgefühl „deutschen“ Empfindens wurzelnden Haltung sich der Dichter in Zukunft gegenübergestellt sehen mußte 121 . Dabei erkannte er vielleicht noch nicht mit letzter Konsequenz, daß späteren „Seidentopfs“ die sympathischen Eigenschaften seines Hohen-Vietzer Pfarrers abgingen.
Übrigens ist Fontane mit der Gestalt des germanomanen Pastors, der in seiner erst seit einigen Jahrzehnten germanisierten Parochie alle Realitäten der täglichen Umgebung mißachtet und verkennt und dabei „mit der Dogmenstrenge eines Großinquisitors“ und „keine Kompromisse duldend“ in einem „von Uranfang an deutschen Lande“, das „trotz aller Invasionen durch alle Jahrhunderte deutsch geblieben sei“ 122 , zu leben wähnt, in vollendeter Weise die Karikierung der auch in den meisten niederlausitzischen Parochien wirkenden protestantischen Geistlichkeit
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