Ich will hier nicht etwas unbedingt Schlüssiges zu einer Kontroverse vorlegen, die in der späteren Forschung entstand (s. u.), das ist mir überhaupt unmöglich. Die dazu notwendigen Materialien lassen sich weder in Deutschland noch in Japan beibringen. Daher ist es von vornherein anmaßend, wenn ich einen Brief Thomas Manns mit einem Kommentar versehe. Dennoch erlaube ich mir, diese Arbeit zu übernehmen. Erstens, weil mich der Inhalt des Briefes wie auch ein Spruch Fontanes in ihm sehr interessiert. Zweitens, weil sich mir eine selten günstige Gelegenheit bot, im Fontane-Archiv zu Potsdam in anderorts schwer zugängliche Literatur von und über Theodor Fontane einzusehen. Das ist zur Zeit für japanische Germanisten ungemein schwierig wegen der geographischen Entfernung sowie der fehlenden diplomatischen Beziehung zwischen Japan und der DDR. Aus diesem Grund kann ich also nur an Hand der Materialien, die mir während meines kurzen Aufenthaltes im Fontane-Archiv zugänglich waren, den betreffenden Brief kommentieren.
Der Brief bezieht sich offensichtlich auf den Aufsatz Thomas Manns „Der alte Fontane“, der erstmals in der Zeitschrift „Zukunft“ vom 1. X. 1910 veröffentlicht wurde, besonders auf den Spruch „Leben“ Fontanes, mit dem Thomas Mann seinen Fontane-Essay schloß. Dort versuchte Thomas Mann, in dichterischer Form die Weltanschauung und Lebensweisheit des alten Fontane zu beschreiben. Die Verse lauten:
Leben; wohl dem, dem es spendet Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, das es sendet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.
Zehn Jahre später, im Jahre 1920, erhob sich um ein Reimwort dieses Spruches und dessen Lesart in dem oben genannten Fontane-Essay ein hitziger Streit zwischen Otto Pniower und Thomas Mann. Er wurde ausgetragen in der „Vossischen Zeitung“ vom 5. Mai 1920 („Der verballhornte Fontane. Eine falsche Lesart“ von Otto Pniower) und vom 8. Juni 1920 („Der gerettete Fontane. Eine Entgegnung“ von Thomas Mann). — Das ist bekannt, dennoch eine vergessene Episode. Dieser Entgegnung Thomas Manns ist eine sowohl für die Sache selbst wie für das Verhalten der Zeitungsredaktion den beiden Disputanten gegenüber interessante Schlußbemerkung von der „Vossischen Zeitung“ hinzugefügt. Weiterhin erschien in der Ausgabe vom 2. Juli 1920 ein Artikel der Redaktion unter dem Titel „Noch einmal Th. Fontanes »Leben«“. Später brachte die gleiche Zeitung vom 31. Aug. 1926 wiederum einen Aufsatz Pniowers „Ein Spruchgedicht Fontanes. Die Geschichte einer Lesart“.
Der Brief Thomas Manns ist unmittelbar nach der Veröffentlichung des Fontane-Essays in der „Zukunft“ geschrieben, wie das Datum klar zeigt.
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