Heft 
(1969) 8
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Daraus kann man schließen, daß der Empfänger des Briefes (vielleicht der Justizrat Georg Friedlaender) bereits zehn Jahre vor Pniower die Lesart in dem Essay Thomas Manns in Frage gestellt hatte. Dennoch mag der Justizrat wohl der allgemeinen Ausführung Thomas Manns über das Menschenbild des alten Fontane, das Thomas Mann hauptsächlich auf Grund der Briefe Fontanes kritisch gestaltete, seine Zustimmung gegeben haben, wie sich aus den ersten Zeilen dieses Briefes vermuten läßt. Welche Frage der Justizrat an Thomas Mann gerichtet und welche Meinung er selber geäußert hat, ist leider nicht zu ermitteln. Allein die letzte Hälfte des Briefes macht klar, daß es sich um Thomas Manns Deutung des Spruches und dessen Reim handelt, der den dritten und vierten Vers verknüpft. Ich vermute, daß sich der Justizrat bei Thomas Mann darüber erkundigte, ob sich in den vierten Vers nicht ein Druck­oder Schreibfehler eingeschlichen, nämlich statt des Wortesendet nicht einspendet gestanden hätte. Dabei ist er anscheinend zu derselben Deutung gekommen, die Thomas Mann in dem betreffenden Brief wider­legt.

Wir wollen nun in groben Umrissen die Textgeschichte des Spruches Leben darstellen. Die Entstehungszeit ist bisher nicht klar. Dem Inhalt des Gedichtchens und dessen Zügen nach zu urteilen, stammt es aus der Spätzeit. Dieser Meinung sind auch alle Herausgeber der bisherigen Gedichtsammlungen Fontanes, in denen der Spruch abgedruckt ist. Er ist zu Fontanes Lebzeiten in keiner Gedichtsammlung veröffentlicht worden. Fontane hat den Spruch gewiß vom künstlerischen Standpunkt aus nicht hoch bewertet, wie bereits Thomas Mann in dem betreffenden Brief ver­mutet. Darüber ist auch Pniower der gleichen Ansicht 2 . Ferner deutet er an,daß es sich möglicherweise um einen ersten Entwurf handelt, den der Dichter später in die Höhe der Poesie erhoben hätte 3 . Andererseits kann der Dichter vielleicht keine Gelegenheit gehabt haben, den Spruch zu veröffentlichen. Wenn das der Fall wäre, liegt die Entstehungszeit zwischen Dezember 1897 und Oktober 1898, weil die letzte Gedichtsamm­lung vor dem Tode Fontanes im Dezember 1897 veröffentlicht wurde 4 . Diese Möglichkeit kann man wohl nicht außer acht lassen. In einer An­merkung der Hanser-Ausgabe stehtE. Ende der 90er Jahre 5 . Es wird aber für diese genaue Datierung keine Begründung gegeben.

Das Originalmanuskript des Dichters hat sich bisher nicht auffinden lassen. Diese Tatsache sollte die spätere Kontroverse um den Spruch her- vorrufen. Nach dem Bericht der Redaktion derVossischen Zeitung, die unmittelbar bei Fontanes Sohn nach der Urhandschrift angefragt hatte, hat Friedrich Fontane, der damals in Neuruppin wohnte, die Vermutung ausgesprochen,daß seine Mutter den Zettel vielleicht einem Sammler geschenkt habe, wie das gelegentlich vorgekommen ist 6 .

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