Bände der 1909 erschienenen zweiten Brief Sammlung Fontanes gelesen hatte. Schon 1904 bezeichnet er in seiner Antwort 14 auf eine Rundfrage Fontane als einen der großen Schriftsteller, die seinen erzählenden Stil beeinflußt haben. In der „Berliner Zeitung“ vom 7. 5.1910 äußert er über sein Verhältnis zu Fontane: „Unendliche Liebe, unendliche Sympathie und Dankbarkeit, ein Gefühl tiefer Verwandtschaft (vielleicht beruhend auf ähnlicher Rassenmischung), ein unmittelbares und instinktmäßiges Entzücken, eine unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzchen von ihm .. , 15 “ In der Tat war seine Neigung zu Fontane groß und intensiv, sie hat sich bis zu seinem Tode nie geändert. Am 29. Juni 1910 spricht er Maximilian Harden gegenüber, dem Redakteur der Zeitschrift „Zukunft“, seinen Wunsch aus, einen Artikel über Fontanes Briefe schreiben zu wollen 16 . Und in einem unveröffentlichten Brief 17 vom 21. August 1910 berichtet er, daß sein Aufsatz endlich fertig sei. Zugleich entschuldigt er sich für dessen Länge. Obgleich Harden seine Mißbilligung äußerte 18 , weil Thomas Mann Fontanes Verhältnis zu Bismarck rechtfertigte, erscheint der Essay dennoch in der „Zukunft“ vom 1. X. 1910. Er schließt mit folgenden Worten: „Er war geboren, um der »alte Fontane« zu werden, der leben wird; ... und sein Leben scheint zu lehren, daß erst Todesreife wahre Lebensreife ist. Immer freier, immer weiser reifte diese seltene und liebenswürdige Natur dem Empfange der letzten Antwort entgegen“, und dann zitiert Thomas Mann, wie oben erwähnt, den Spruch „Leben“ als einen Beweis dieses Schlußwortes.
Gleich nach der Veröffentlichung dieses Aufsatzes bekam Thomas Mann wahrscheinlich von dem oben genannten Justizrat einen Brief, worin seine Lesart angezweifelt wurde. In dem Antwortschreiben spricht er sich ausdrücklich gegen die Deutung des Justizrats aus: „Was aber das Schlußcitat meines Aufsatzes betrifft, so bin ich . . . ganz und garnicht Ihrer Meinung“. Zugleich legt er dar, was seiner Meinung nach der Spruch bedeute: „Was Fontane ausdrücken wollte, war gewiß nicht der wenig reizvolle Gedanke, das Beste am Leben sei, daß es einmal ende, sondern der: das Beste daran sei das »Wissen, das es sendet«, der Empfang der letzten und größten Antwort, die Lösung des letzten und größten Rätsels, der Ausgang, der Tod“. Also gibt er schon auch hier genau dieselbe Deutung wie in seinem oben zitierten Schlußwort des Fontane- Essays.
Fast zehn Jahre läßt sich kein weiteres Wort über diese Angelegenheit Anden. Aber an seinen damaligen Briefen und Zeitungsartikeln kann man ablesen, daß er auch inmitten der politisch-ideologischen Verwirrungen der Kriegszeit und Nachkriegszeit seine alte Liebe zu Fontane niemals verloren hat. Er schreibt in einem Brief vom 19. VI. 1918 an Fritz Endres:
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