Heft 
(1969) 8
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Endlich soll Fontanes nach 1871 immer schärfer hervortretende kritische Distanzierung gegenüber den Zeitereignissen, gegenüber der öffentlichen Meinung, gegenüber der zeitgenössischen Gesellschaft, an Hand des benutzten Materials nachgewiesen werden. Andere Doktoranden haben sich vorgenommen, die dichterische Darstellung gesellschaftskundlicher Fragenkomplexe in Fontanes Berliner Romanen zu behandeln. Madame Chevanne arbeitet über die Verwendung innenpolitischer Motive durch den Dichter. Ihre Dissertation steckt noch in den Anfängen. Die Autorin ist zur Zeit dabei, den Quellen nachzugehen, die Fontane zur Darstel­lung von Parteipolitik und Wahlkämpfen zum Beispiel in Frau Jenny Treibei und im Steohlin benutzt hat.

Mit einer weiteren Dissertation gelangen wir von der politischen zur sozialgeschichtlichen Thematik. Madame Romain arbeitet über das Bild der Berliner Bevölkerung in Fontanes Romanen, Novellen, Briefen, histo­rischen und autobiographischen Schriften. Das Thema ist etwas weit­gesteckt, und es ist zu erwarten, daß die Autorin sich auf die Darstellung einer bestimmten sozialen Gruppe bei Fontane wird beschränken müssen, zum Beispiel auf das Kleinbürgertum. Gerade kleinbürgerliche Gestalten sind selbst als Randfiguren besonders aufschlußreich, wie es kürzlich erst Robert Minder in seiner Studie über eine Figur aus dem Stechlin, Schickedanz, überzeugend nachgewiesen hat. Ausgangspunkt für die Dissertation ist Fontanes Aufsatz Die Märker und das Berlinertum.

Weiter fortgeschritten als die eben genannte Arbeit ist die Dissertation von Monsieur Charpiot. Der Arbeitstitel lautet: Liebe, Ehe, Verhältnis und Ehebruch in Fontanes Romanen. Den eigentlichen Anstoß zu seinen Forschungen erhielt der Autor durch die Lektüre von H.-H. Reuters Vor­wort zu Märkische Romanze. Er ist zunächst nach Berlin gegangen, um im Märkischen Museum die Roman-Handschriften genau durchzusehen, deren zahlreiche Retouchen, Streichungen und Zusätze für seine Arbeit von Bedeutung sein können. Dann hat er längere Zeit im Potsdamer Fontane-Archiv arbeiten können; der dort vorhandene gedruckte Text des Fragments Allerlei Glück war für ihn aufschlußreich. Bei einem der­artigen Thema darf der zeitgeschichtliche Hintergrund nicht vernach­lässigt werden. Der Autor benutzt dazu zahlreiche Quellen, von denen hier nur eine, für französische Leser ganz besonders interessante, ge­nannt werden soll, nämlich das Buch Berlin, le Cour et la Ville des französischen Dichters Jules Laforgue, der längere Zeit als Vorleser in den Diensten der Kaiserin Augusta stand. Außerdem hat der Autor es unternommen, sich über die rechtlichen Grundlagen der Begriffe Ehe, Ehebruch, Scheidung usw. am Ende des vorigen Jahrhunderts zu infor­mieren. Nachdem das Thema der Liebe in Fontanes Romanen so häufig vom psychologischen Standpunkt aus interpretiert worden war, scheint

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