Heft 
(1969) 8
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Debatte oderKonversation. Der Charakter der Gespräche deutet hin auf Unstimmigkeiten beim Gespräch über verschiedene Themen, haupt­sächlich der Literatur oder Politik. Für unsere Arbeit interessiert am meisten das gemeinsam besprochene Thema der Literatur, vor allem Dickens, denn wir wissen von den Schriften Fontanes, was er gerade vor dieser Zeit und zu dieser Zeit über diesen Dichter, der solch entschei­dende Wirkung für englische Sozialreformen zeigte 65 , dachte.

In seinem 1855 verfaßten Aufsatz über Gustav Freytags RomanSoll und Haben deutet Fontane auf die Ähnlichkeiten zwischen diesem Roman und den vorhergehenden Werken von Thackeray und Dickens hin; auch auf den Realismus, den Humor Dickens und auf dieFormlosigkeit des englischen Romans, vielleicht mit Ausnahme des historischen 66 , geht er kritisch ein. Was ihn aber zu dieser Zeit am meisten bei Dickens zu stören scheint, ist paradoxerweise genau das, was seine späten Werke die Berliner Gesellschaftsromane beinhalten und berühmt machte; Gesell­schaftskritik! Am 25. Juli 1857 schreibt Fontane in einem Bericht für die Kreuz-Zeitung :

. ... Dickens, der Novellist, wird nach wie vor hoch geachtet (in der engl. Presse); aber Dickens, der Reformer und Politiker, der in Novellenform demokratisiert und Dinge behandelt, von denen er nichts versteht, hat allgemach eine ganze Phalanx von Feinden gegen sich heraufbeschworen. Zu dieser Erscheinung kann man England nur Glück wünschen. Dickens fing an, ein politischer Schriftsteller in Heines oder, wenn das zu hart ist, in Börnes Manier zu werden. An Witz und Geist und guten Einfällen kein Mangel, aber an Sachkenntnis und jenem gesunden Sinn, der vor allen Dingen an keine Vortrefflichkeitsschablone glaubt, der alleräußerste, d. h. Mangel. Deutschland hat schwer darunter zu leiden gehabt, daß es Heine und Herwegh als politische Lehrmeister hinnahm. Eine gesunde Reaktion kam, aber sie kam spät, und England mag sich gratulieren, daß es Geist gegen Geist einzuschreiten versteht, ehe der böse Samen auf­gegangen ist. Thackeray geißelt auch, aber er geißelt mehr die Gesell­schaft überhaupt als irgendeine bestimmte Klasse daraus; er stopft nicht beständig eine Schreckenspuppe aus unter der ÜberschriftAristokratie und führt sie nicht durch die Straßen, damit das Volk sähe, wie häßlich

sie sei, und mit Steinen danach werfe.Eines freilich fehlt auch ihm:

Er sucht nach Wahrheit, aber seinem Suchen und seinem Finden fehlt die Liebe. So fehlt seinen Wahrheiten zuletzt doch die höchste Wahrheit, und seine getroffensten Porträts frappieren überwiegend durch die häßliche Hälfte des Originals.

Zu dieser Stelle schreibt Hans Heinrich Reuter in seinem Kommentar: Das in der Abwertung von Dickens mitschwingende politische Urteil ist kennzeichnend für Fontanes damalige Einstellung; zu bedenken ist ferner,

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