Heft 
(1969) 9
Seite
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Theodor Fontanes Briefe an Ludwig Pietsch

Eingeleitet und kommentiert von CHRISTA SCHULTZE (Berlin)

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Zwei Tage nach Fontanes Tod veröffentlichte Ludwig Pietsch in derVossi- schen Zeitung" persönliche Erinnerungen an den Verstorbenen, in denen er ihres freundschaftlichen Verkehrs und der daraus entsprungenen Korrespon­denz gedachte. Er schrieb:Leider erst verhältnismäßig spät im Leben habe ich seine persönliche Bekanntschaft gemacht. Aber bald genug habe ich diese Bekanntschaft als eine der besten Errungenschaften meines Lebens, das freund­schaftliche Wohlwollen, das er mir immerdar bewiesen hat, als eins der köst­lichsten Güter, das uns gewährt werden konnte, erkennen und schätzen ge­lernt ... In den ersten siebziger Jahren, nachdem wir uns näher gerückt waren, erschien er auf meine wiederholten Bitten wohl von Zeit zu Zeit in meinem Hause, in dem sein Sohn, der Offizier und Lehrer an der Kadettenzentral­anstalt war und den ihm der Tod so früh entriß, häufig ein lieber Gast war. Jede Stunde, die Theodor Fontane uns da schenkte, erschien mir und den Mei­nen immer als eine wahrhaft geweihte. Es war uns stets so, als wäre ein Schim­mer von dem poetischen Glanz, den er ausstrahlte, zurückgeblieben, wie der Schimmer, welcher noch lange den Abendhimmel vergoldet, nachdem die Sonne selbst lange gesunken ist. Den Balkon meiner hochgelegenen Wohnung, von dem herab man damals, noch von keinen Straßen und Häusern gehemmt, weit über die Felder und Parks bis nach Wilmersdorf und dem Grunewald sehen konnte, und der Aufenthalt darauf erfreute sich der ausgesprochenen Gunst Fontanes. So sehr, daß er ihm zu einer gewissen literarischen Unsterblichkeit verholfen hat. Den Balkon der Wohnung des Helden seines klassischen Ro­mans .Irrungen, Wirrungen' und der alles ,so komisch' findenden jungen lustigen kleinen Frau hat er treu dem unsern nachgeschildert, wie er es mir selbst gestanden hat.. .

Die mündlichen Gespräche Fontanes mit seinen Freunden erfuhren immer noch eine besonders köstliche Ergänzung durch seine kurzen Briefe, die er bei den verschiedensten Anlässen rasch aufs Papier warf und ihnen ins Haus sendete. Jeder bereitete seinem Empfänger eine frohe Stunde. Nach jedem Artikel von mir, der ihm ganz besonders gefallen hatte, - und ich fühlte immer instinktiv, wenn einer von den zahllosen, die ich für unsere Zeitung schrieb, dies Glück haben sollte, - traf gewöhnlich noch an demselben Tage so ein Brief (er selbst nannte diese Art von Episteln seine .Liebesbriefe') an mich ein, der nach der immer gleichen Anrede .Teuerster Pietsch' gewöhnlich auf zwei bis drei groß und weitläufig geschriebenen Seiten seiner freundlichen Meinung über den be­treffenden Artikel und einzelne Stellen desselben den originellsten, geist­reichsten und graziösesten Ausdrude gab und noch durch mannigfache Neben­bemerkungen und Anspielungen über und auf andere Personen und Gegen­stände höchst ergötzlich bereichert war .' 1

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