Von diesen Briefen an den „teuersten Pietsch", deren ursprüngliche Anzahl unbekannt ist 2 , werden im folgenden zweiunddreißig zum erstenmal im Zusammenhang und ausführlich kommentiert abgedruckt. Zweien liegen die unveröffentlichten Originale (im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar und im Fontane-Archiv Potsdam), der Hauptmasse von sechsundzwanzig die Schreibmaschinenabschriften im Fontane-Archiv zugrunde. Neun dieser nur in Abschrift erhaltenen Briefe sind bislang unbekannt; in drei weiteren Fällen vervollständigt unsere Neupublikation den früheren lückenhaften Drucktext (Brief 7, 9 und 11); vier Briefe folgen dem Erstdruck von 1936 bzw. 1943.
Die hier vorgelegten, im Zeitraum eines Vierteljahrhunderts, von März 1872 bis Juni 1898, geschriebenen Briefe 3 vermitteln ein anschauliches und scheinbar unauswechselbares Bild herzlicher, auf die Familien ausgedehnter Freundschaftsbeziehungen, die auf Fontanes Seite in erster Linie von der Bewunderung für des Partners außergewöhnliches plastisches Schilderungsvermögen, auf Pietschs Seite, ganz im Einklang mit den eingangs zitierten Erinnerungen, von der Verehrung für den Menschen und Dichter Fontane und darüber hinaus von der ständigen Einsatzbereitschaft seiner Feder zugunsten des Begnadeteren geprägt sind. Wie aber verträgt sich dieses Bild mit Fontanes mitunter wenig freundschaftlich anmutenden Äußerungen über den Kollegen in seinen Briefen an beiderseitige Bekannte? Solche Äußerungen stehen unmittelbar neben anerkennenden und mitfühlenden und gipfeln in der Konstatierung eines „totalen Defizits von Charakter, Anstand, Gesinnung" (22. Oktober 1886) in dieser „merkwürdigen Mischung von Genie und Fanfaron" (17. Oktober 1892). Diese und ähnliche Bemerkungen in den vor anderthalb Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gelangten Briefen an Friedlaender 5 sind es vor allem, die einer negativen Beurteilung L. P.'s Vorschub leisten, obgleich auch schon in früher veröffentlichten Briefen an Friedrich Stephany Fontanes kritische „Mäkelsucht" seinen „Meister der Presse' 5 gelegentlich ins Gebet genommen hat. Dieser Widerspruch verlohnt eine Betrachtung ihrer Beziehungen, die anregen will, spielte doch der so Gescholtene und Gelobte eine auch für die Nachwelt nicht uninteressante Rolle im damaligen literarischen und künstlerischen Leben. Der Freund Adolf Menzels, Theodor Storms und Iwan Turgenjews - vom ersten sind Einzelbriefe 6 , von den beiden letzten ganze Briefsammlungen an ihn 7 erhalten - hatte nach nur zögernder Aufgabe des Malerberufes 8 die vornehmste Berufung darin gefunden, seine Sachkenntnis in bildender Kunst und Literatur, sein Einfühlungsvermögen und sein scharfes Auge für die schöpferischen Leistungen der von ihm als bedeutend erkannten Zeitgenossen einzusetzen. So wurde er - um nur die Berühmtesten zu nennen - zum Bahnbrecher Menzels und machte seit 1864 unermüdlich den großen russischen Realisten Turgenjew in Deutschland durch Besprechung seiner Werke, in Berlin auch durch mündliche Propaganda und Vermittlung persönlicher Kontakte bekannt. Fontane selbst verdankte Pietsch hinsichtlich seiner literarischen Auseinandersetzung mit seinem späteren „Meister und Vorbild" (vgl. Brief 19) ganz wesentliche Impulse. 6 Seine nachfolgend abgedruckten Dankeszeilen für Pietschs Nekrolog auf Turgenjew (vgl. Brief 17), die er unmittelbar nach der morgendlichen Zeitungslektüre als Ausdruck der Freude über die daraus empfangene Bereicherung niederschrieb, zeugen davon. Auch sein Pietsch rechtfertigender