Brief an Friedlaender vom 2. März 1886, der des ersteren „überaus feine künstlerische Empfindung auf literarischem Gebiete' betont und den Ausruf enthält: „Wie viel Schönes hat er über Storm, Turgenjew und viele andre geschrieben" 10 , sind Beweis für dieses Verdienst seines Kollegen. Als eine besondere „journalistische Tugend" wird Pietschs „sich unterordnende Treue und Anhänglichkeit, eine Bescheidenheit, die entwaffnet", noch hervorgehoben, als sich an ihm die von Fontane mit Schauder ins Auge gefaßte Möglichkeit erfüllte, und er „rankehaft alt... dem Mitleidsobol einer von Pietät und ähnlichen Schnurrpfeifereien emanzipierten Jugend' (vgl. Brief 19) ausgeliefert war. Nach der Jahrhundertwende - Pietsch überlebte den fünf Jahre älteren Dichter um dreizehn Jahre - ließ diese Jugend weder seinen von Fontane einst verteidigten Stil 11 noch seine „kunstkritischen Nörgeleien' gegen die Moderne gelten. Er, der als Herold für die so ungleichen Meister Menzel und Arnold Böcklin auf den Plan getreten war, mußte, so berichtet Helene Vollmar 1911, „es sich gefallen lassen, daß er schließlich von dem Geschlechte von heute als ein Mann gekennzeichnet wurde, der Böcklin und Menzel nicht verstände.' 12 Dem weiter oben zitierten Vertreter aus dem jungen Geschlecht des angebrochenen 20. Jahrhunderts war trotz aller Einwände gegen den „Naturburschen' im Leben und als Kunstrichter dies an dem ganz alten Pietsch das Bemerkenswerteste: „Er konnte sich noch enthusiasmieren, konnte Freund und Vertrauter werden; sein Talent treuer Hingabe belohnte ihn damit, daß er einer der Vertrautesten Turgenjews, daß er ein intimer Freund des Viardot-Garcia-Kreises in Baden-Baden und späterhin Theodor Fontanes war. Seine ehrliche Bescheidenheit offenbarte gleichsam ihre schöpferische Kraft in solchen Errungenschaften.' 13
Diese Worte eines seiner kunstkritischen Gegner treffen den innersten Kern von Pietschs Verhältnis nicht nur zu dem großen Russen, sondern auch zu Fontane. Seine vielen Besprechungen von Werken unseres Dichters 1 '*, die im folgenden auszugsweise zitiert werden, bestätigen dies. Fontane selbst, der der zeitgenössischen Kritik im allgemeinen nicht zugestand, „den Lebenspunkt eines Dinges' zu treffen, 1878 zum Beispiel die an seinem eigenen ersten Roman geübte durchweg als „ungeheuer unbedeutendes Zeug' bezeichnete, ließ Pietschs Rezension auch andern gegenüber als Ausnahme gelten - wenn „auch nur zu guter Hälfte." 15 Wie sehr er sich aber schon früher in Wirklichkeit von Pietsch verstanden und im Wesentlichsten erkannt fühlte, zeigt ein Brief an einen unbekannten Journalisten von Anfang Dezember 1874, in dem er an einer Stelle auf Pietschs Besprechung der zweiten Auflage seiner „Gedichte" eingeht. Pietsch hatte geschrieben: „Fontane hat besonders aus der Ballade ein Studium gemacht ... Wie ernstlich das Studium gewesen ist, beweisen seine in die Gedichtsammlung aufgenommenen meisterhaften, ton-, form-, geistgetreuen und doch freien Bearbeitungen jener Originale (der altenglischen Volksdichtungen - Ch. Sch.] ... Die Schönheiten wie die Schwächen jener Muster finde ich auch in Fontanes verwandten eigenen Balladen wieder. Zu solchen Schwächen zähle ich die endlose Länge und - zuweilen - das die rechte poetische Wirkung beeinträchtigende Versmaß. Es gibt für diese kein so gefährliches, weil kein so ermüdendes, wie das in dem Balladenzyklus .Von der schönen Rosamunde' angewandte... Diese den englischen verwandten, englische historische Stoffe