man Pietsch sein. Er schreibt doch zu breit. Nächstens schicke ich Dir einen Aufsatz von ihm mit; vergleiche dann mal. Er verwendet seine großen Kräfte nicht richtig; auch darin fehlt wohltuende Ordnung." 29 1880 erreichte Fontanes unwillkürliches Sich-Messen an des Kollegen „beneidenswertem Talent" 30 einen Höhepunkt in folgendem - Pietsch selbst geoffenbarten - Bekenntnis anläf 3 lich dessen zweiter Besprechung von „Vor dem Sturm"; „Sonderbar zu sagen, daß mein Dank durch die beständig nebenher laufende Bewunderung in seinem Vollgefühl gehemmt wurde. ,Das könntest Du nicht', so klang es immer leise mit und deprimierte mich ein wenig. Welcher freundliche Herzenszug und welche grundgesunde Natur gehören dazu, zweimal dasselbe Buch zu besprechen und so zu besprechen." 31
Außer dieser ehrlichen Erkenntnis von Pietschs „grundgesunder Natur" sprach Fontane in den siebziger Jahren diesem oft ähnliche Dankesworte für eine „glückliche Stunde" und für den „Herzenstrost" 32 aus, welche das „liebevolle" Eingehen auf seine dichterischen Absichten ihm bereitet hat. Nur schwer wollen sich mit seiner Bewunderung für Pietschs „richtigen Künstler- und Menschenblick, der sich darin zu erkennen gibt, daß man das Echte und Ewige des Daseins von dem Plunder des Lackiert-Konventionellen zu unterscheiden weiß" 33 , jene Bemerkungen über Pietsch als „Charakter", der ganz tief unten steht, der „gleich Null" ist und nicht „mitzählt" 34 , und über den Zyniker, wie sie Mitte der achtziger Jahre zusammen mit spöttischen Verulkungen fallen, vereinbaren lassen. Was Fontane in solchen Fällen an Pietsch vermißte, war „Charakter", verstanden als unbeirrbare Stetigkeit und Folgerichtigkeit, als Prinzipienstärke und -treue, verbunden mit unantastbarem Lebenswandel und peinlicher Korrektheit in wohlgeordneten Lebenverhältnissen. Pietschs Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, sein ungeniertes Borgen, seine häusliche Bohemewirtschaft, sein so gar nicht Respekt erheischendes Auftreten und eine seit den achtziger Jahren von Fontane als negativ empfundene Auswirkung dieser Eigenschaften auf Pietschs öffentliche Wirksamkeit, die sich ihm in einer allzu großen Virtuosität zu manifestieren schien 35 , waren Fontane Fried- laender gegenüber Anlaß genug, L. P. nicht als „Charakter" gelten zu lassen.
Allen „schlimmen" Äußerungen über den Freund in den Briefen an Fried- laender war übrigens stets ein Brief des letzteren vorausgegangen, in dem die auf Verurteilung gestellte Richtung des Themas Pietsch bereits vorgezeichnet war. Fontane hat nur willig eingehend des Absenders Gedanken bereichert und zugespitzt. Der im Konventionellen verhaftete, von Verstößen gegen den guten Ton degoutierte Amtsrichter und Berühmtheiten-Jäger aus Schmiedeberg aber und seine Frau nahmen an dem als Nummer-Eins-Mann der „Vossischen Zeitung" zwar eingeladenen, doch im persönlichen Umgang als allzu salopp empfundenen Pietsch ohne ausreichende Taschentücher und ohne Geld entschieden Anstoß. Überdies war Friedlaender nicht nur der Partner im Austausch von Gesellschaftsklatsch, sondern auch von literarischen Stoffen und Gestalten. Gerade zu einer solchen aber war in den achtziger Jahren L. P. für den Dichter geworden, nachdem die „ganz exzeptionelle Erscheinung des nach seiner „Länder- und Völkerkunde noch nie Dagewesenen" schon Ende 1878 einer in ihm „lebenden starken Empfindung" entsprochen hatte, über die er schreiben wollte (vgl. Brief 9). Jetzt ging es darum, diese extreme „Mischung"
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