ganz zu erkennen, ihr »beizukommen', das Antipodische auszuleuchten. Eben weil das Positive im persönlichen Verkehr mit Pietsch das Selbstverständliche war, hat es Fontane um der Arbeit an seiner ,L. P.-Novelle' willen, zu der die Pietsch-Biographie vom Jahre 1881 36 eine Vorarbeit gewesen war, wohlgetan, einem dafür empfänglichen Partner gegenüber auch einmal das Gegensätzliche betonen und überbetonen zu können.
Am Beispiel eines anderen Freundschaftsverhältnisses, nämlich zu Theodor Storm, hat Peter Goldammer unlängst dargelegt, wie in Fontanes Äußerungen über Zeitgenossen „neben der warmherzigen Bewunderung die beißende Satire und parodistische Persiflage' stehen. Nur wenn man die „Ambivalenz der Fontaneschen Urteile', die auch auf die „Gestalten seiner Phantasie' zutrifft, - so heißt es bei ihm, - als Ausdruck der „Skepsis gegenüber dem eigenen Gefühl, die ständige rationale Kontrolle seiner Emotionen als ein ästhetisches Prinzip ... begreift', wird man sie „nicht als Charakterlosigkeit ansehen, sondern als Versuch zu allseitigem Erfassen, zu objektivem Verstehen eines andersartigen Charakters." 37 In Storms Fall befreite sich Fontane überdies in seinen 1888 konzipierten Erinnerungen durch die bis zur Ungerechtigkeit gehende Überzeichnung der „Schwächen und Schrullen' des andern von dem drückenden Übergewicht des einstigen, mit der „Liebe des Konkurrenten" 38 verehrten, unerreichbaren Lehrmeisters auf dem Gebiet der Lyrik. Einen ähnlichen Akt der Befreiung von Eindrücken und Einflüssen haben wir 1882 z. B. in Fontanes anfänglich heftigem Räsonnement gegen den später als Meister anerkannten, vergleichsweise erreichbaren 33 realistischen Prosadichter Turgenjew vor uns. 40 Auch die Ambivalenz seiner Urteile über Pietsch entspringt letzten Endes dem Bemühen, sich durch Verarbeitung zu einem im Dichtwerk geschaffenen Ureigensten von einem gewichtigen Eindruck - hier einer vielschichtigen, starken Persönlichkeit - freizumachen.
Die im zweiten Entwurf der „L. P.-Novelle' klar und deutlich gezeichnete Gestalt des Vaters sollte viele Züge Pietschs, vom „Lebemann, Bewunderer, altem Hegelianer oder doch Epikureer, . .. Freidenker" und „tollem Erzieher" bis zum Zynismus 41 „unglaublichster Anschauungen, ... in der Zeit der Jung- Hegelschen Schule, der Bruno Bauer, Max Stirner' 42 gewonnen, und seine den Rand der Lächerlichkeit streifende Komik in sich aufnehmen. Die genaue Entstehungszeit der beiden Entwürfe dieser Novelle, in der Pietsch eine Hauptfigur in einem Berliner Gesellschaftsbild der siebziger Jahre spielen sollte, ist unbekannt, doch läßt sich der Zeitraum einengen. Bereits im ersten Entwurf ist der Handlung die außereheliche Geburt von Pietschs Enkelin zugrunde gelegt; er dürfte demnach zwischen 1878 und 1881, als das damals skandalöse Ereignis noch nicht in Vergessenheit geraten war 43 , verfaßt worden sein. Nur am Rande sei bemerkt, daß Fontane bei der Wahl dieses Stoffes nicht von der Konstatierung eines moralischen Mankos an Pietschs vermeintlich „leichtlebiger" Tochter, an der sich des Vaters „libertinistische Podomontanden und lok- ker-großzügige Erziehungsgrundsätze eine Zeitlang bitter rächten" 44 , geleitet worden war, sondern das Schicksal einer geistig regen, durch Diskussionen mit dem Vater 45 weniger verwirrten als aufgeklärten jungen Frau darzustellen gedachte, die in einem „üppigen freien Leben" aufgewachsen, dennoch versuchte.