Heft 
(1969) 9
Seite
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die .Sieben aus dem Hippelschen Weinkeller" auf, denn .Berlin hat kaum je­mals ... interessantere Leute gesehn.' 53

War in den siebziger Jahren Fontanes Beziehung zu Pietsch in erster Linie von ihrer journalistischen Tätigkeit geprägt gewesen, in den achtziger Jahren L. P. zur Modellfigur für eine geplante Novelle des neuerstandenen Romanschrift­stellers und damit zum Gegenstand intensiver Durchforschung und schonungs­loser Kritik geworden, so erfuhr dieses Verhältnis in den neunziger Jahren noch einmal eine Wandlung. Ungeachtet gelegentlicher Spötteleien über die Kraftmeierei" der über siebzigjährigen eislaufenden und bis in die Nacht hin­ein tanzenden .verdrehten Schraube" 5 ' 1 wurde im letzten Lebensjahrzehnt, als L. P. den Dichter nicht mehr als zu gestaltendes Modell bedrängte, das Be­wußtsein des Verbindenden, des gemeinsam Durchlebten und des gleichzei­tigen Altwerdens zum tragenden Tenor seiner Einstellung zu Pietsch. Schon 1885 hatte der Dichter aus einem Gefühl der Vereinsamung diesem geschrie ben: .Die paar Alten sollten ..., soweit es Charakter und Verhältnisse zulas­sen, Zusammenhalten' (vgl. Brief 19). 55 Solidarisches Mitgefühl war es, das sich 1890 in seinem Ärger über den 4.-Klasse-Orden ausdrückte, den man Pietsch, derso vielen Millionen Menschen im Laufe von dreißig Jahren Freude, Genuß, Belehrung verschafft", ein Vierteljahrhundert später als ihm selbst ins Knopfloch gehängt hatte. Alscharakteristisch für die Stellung, die die Litera­tur bei uns einnimmt" 50 , bestätigte dieses Ereignis seine 1891 neu formulierten Gedanken über die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers. Von diesem Gesichtspunkt aus ist auch der in dieser Publikation erstmals abgedruckte Brief vom 14. Dezember 1897 zu verstehen, in dem der Dichter für eine im Namen der Schriftsteller an die Adresse des preußischen Kultusministers gerichtete Zu­rechtweisung dankt, wenn ihm auch Pietsch, der seit den siebziger Jahren Be­richte über die Parteidebatten im Reichstag 57 , in den neunziger Jahren unge­zeichnete Leitartikel über innenpolitische Fragen vom oppositionellen Stand­punkt der durch Rudolf Virchow und Eugen Richter verkörperten Freisinnigen Volkspartei aus 58 schrieb, in seinerAnzapfung" des für die Mißstände im Schul- und Pressewesen verantwortlichen Ministers zu weit ging. 59

In ihrem letzten gemeinsamen Jahrzehnt konnte es für L. P. keine Sache der Kommiseration" mehr sein, die Bücher des Dichtersunserm guten Berlin" vorzustellen, sondern ausschließlich eine Auszeichnung. Pietsch bewahrte dem vor ihm Dahingegangenen die Freundschaft bis zum Tode, dessen Keim eine Erkältung legte, die er sich auf einer Fontane-Feier am 16. November 1911 zu­gezogen hatte. In seinem letztenBerliner Brief" beklagte der Siebenundacht- zigjährige bitter denRaubkrieg hier und dort" und dieMassenschlächtereien in Tripolis und China' am Vorabend des ersten Weltkriegs in einer Welt des angeblichen, sogepriesenen Fortschritts der Menschheit auf allen Gebieten der Zivilisation und der Sitte." Aufatmend wandte er sich dann dem Bericht über dasFest von ganz besonders eigenartigem Gepräge ... der besten Ber­liner Bildungskreise in den Sälen der neuen Häuser des ,Brüdervereins' in der Kurfürstenstraße" zu, derGedächtnisfeier für Theodor Fontane, den un­vergeßlichen, originellen, tief liebenswürdigen, geistig vornehmen und im besten Sinne adligen Menschen und Dichter.' 90 Es waren die letzten gedruck­ten Worte L. P.s.

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