Heft 
(1969) 9
Seite
39
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durch Storms Unterstützung und Vermittlung bei H. Schindler in Berlin er­schienene Buch von Iwan TurgenjewAus dem Tagebuch eines Jägers" in der Übersetzung des Storm und Fontane befreundeten August Viedertals eine höchst schätzenswerte Bereicherung unserer Literatur".

Die ungewöhnliche Breite von Pietschs Besprechung vonVor dem Sturm" (VZ Nr. 275 vom 22. November 1878, 1. Beilage, S. 2) erklärt sich aus dem Bestreben, Fontane nachdrücklich in seiner neuen Eigenschaft als Roman­schriftsteller vorzustellen. Pietsch schrieb u. a.:Seit dreißig Jahren kennt und liebt das deutsche Publikum Theodor Fontane als Balladen- und Lieder­dichter, als fein beobachtenden treuen Schilderer des Lebens und der Natur, der Menschen, Städte, Landschaften der Fremde wie der Heimat und als Kriegshistoriker; - die Leser der ,Vossischen Zeitung' wissen ihn noch ganz speziell zu alledem auch als scharfblickenden, unbefangenen und eigenarti­gen Theaterkritiker zu schätzen. In dieser langen, an schönen Erfolgen nicht eben armen, literarischen und dichterischen Tätigkeit hatte er die Kraft sei­nes Talents gestählt, sie in sehr verschiedenen Sesseln gerecht gemacht, eine außerordentliche Fülle von Beobachtungen der Wirklichkeit, von geschicht­lichem Wissen, besonders von intimer Vaterlands- und Volkskunde in seiner Seele nicht nur angesammelt, sondern auch gründlich verarbeitet. So vor­bereitet, ausgerüstet und innerlich ausgereift in Kunst und Erfahrung, hat er eine erste erzählende Dichtung geschrieben ... Romane der Liebesleiden- schaft werden einem Poeten von 22 Jahren, wie Goethe, als er den .Werther' schrieb, besser gelingen als auch bei gleicher Begabung einem 58jährigen. Erzählungen dagegen, welche die Breite des Lebens, menschliche Zustände und Charaktere in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit zum Gegenstände ihrer Darstellung haben, erfordern eine Lebenskenntnis und einen Reichtum positiver Anschauungen, wie sie auch der talentvollsten Jugend versagt sein muß . . .

Ich begrüße den Roman, wie er da ist, als eine der wertesten Bereicherun­gen unserer modernen erzählenden Literatur. Daß er die Schlagworte unserer Tage einmal nicht enthält, daß er uns wieder einmal andre Menschen als die, welche im Salon glänzen und die, welche die Börse unsicher machen, vorführt, daß er den gewohnten Zirkel der herrschenden geläufigen An­schauungen und Tendenzen durchbricht, macht mir ihn doppelt lieb."

Bei Pietsch hatte es in diesem Zusammenhang geheißen:Wie ein Fremd­ling in diese märkische Landadelsgesellschaft hineinverschlagen steht ein junges Wesen von märchenhafter Anmut.. . die Pflegetochter des braven Schulzen Kniehase . . . die Tochter eines armen Jahrmarktgauklers und .star­ken Mannes' ist das seltsame Kind . . . Die Leser der landläufigen deutschen Romane werden sicher etwas überrascht sein, daß dieses vom Dichter mit jedem poetischen. Liebreiz geschmückte und doch von jeder krankhaften Ro­mantik freigehaltene holde Kind sich schließlich dennoch nicht als .Prin­zessin' oder (mit Sacher-Masoch zu reden .mindestens Baronin') entpuppt, sondern bis zu Ende die leibliche Tochter des .starken Mannes' und seiner armen braven, angetrauten Ehefrau bleibt."