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Teuerster Pietsch!
Berlin, 13. Septenmber 1879
Landschafter Hellmuth Raetzer aus Karlsruhe 1 , jetzt in Rügen, bittet Sie durch mich, seiner bei Besprechung der Landschaftsbilder freundlich gedenken zu wollen. Ich glaube, er ist sehr talentvoll, und ein Künstler in seiner Kunst, scheint mir alles dem Titel seines diesjährigen Bildes nach (ich habe es noch nicht gesehen) zu werden. 2
Ihre freundliche Absicht, bei Paetels in Betreff .Grete Minde" eine Frage zu stellen 3 , bitte ich dringend aufgeben zu wollen. Es ist mit dem Verleger, den man hat, wie mit der Frau, die man hat, - man muß sich eben mit ihnen einzurichten suchen. Ich kann wegen eines bloßen .es wäre mir lieb, wir warteten bis nächstes Jahr" nicht gleich die Zelte abbrechen. Außerdem weiß ich aus vieljähriger Erfahrung nachgerade nur zu gut, daß es Unsinn ist, von zuletzt doch nur kleinen Einzelheiten irgendetwas zu erwarten. Mit neunundfünfzig hat man überhaupt gar nichts mehr zu erwarten als Rückzug. Sie sind noch nicht neunundfünfzig und mögen also das Hoffnungs- und Lebensbanner, was ein und dasselbe ist, hochhalten.
Ihr Th. Fontane
Gedruckt nach der Schreibmaschinenabschrift im Fontane-Archiv Potsdam (vgl. den Teildruck in: Theodor Fontanes engere Welt. Aus dem Nachlaß hrsg. von Mario Krammer, Berlin 1920, S. 46).
Kommentar
1 Der Landschaftsmaler Hellmuth Raetzer (1838-1909) war der Sohn eines Müllers in Neu-Tarnow bei Freienwalde (Blankenburg). In Freienwalde lebte Fontanes Vater; seiner Fürsprache war es zu denken, daß Raetzer Maler werden durfte. 1859 zeichnete er das einzige von Fontanes Vater existierende Bild. Nachdem er Schüler von H. Gude und O. Achenbach in Karlsruhe gewesen war, besuchte er 1872/73 Rom.
2 Pietsch kam Fontanes Bitte nach und schrieb in der XVII. Fortsetzung seines Berichts über .Die Berliner Kunstausstellung" in der VZ Nr. 303 vom 30. Oktober 1879 anerkennend und doch kritisch: .Raetzer, der eine Landschaft von der Insel Rügen - Villen mit prächtigen Baumgruppen im Vordergrund, dem Regenbogen auf grauem Gewölk und mit der poetischen Absicht malte, die .Stimmung von Schäfers Klagelied von Goethe' mit Hilfe der Staffage eines Hirten und einer Schäferin darin auszudrücken, - ein Bestreben, welches der Landschaftsmalerei wohl kaum gelingen kann, wie ja denn auch sein Gelingen oder Mißglücken für den Wert derselben als landschaftliches Kunstwerk gleichgültig bleibt, - .Stimmung' hat Raetzers Bild darum doch zur Genüge, und er erreicht es, die Seele des Beschauers in dieselbe hineinzuziehen."
3 Pietsch wollte beim Verlag der Gebrüder Paetel anfragen, ob sie Fontanes Novelle „Grete Minde", die gerade in „Nord und Süd" vorabgedruckt wurde, in die Paetelsche Miniaturbibliothek aufnehmen würden. Die Novelle erschien 1880 bei Fontanes bisherigem Verleger Wilhelm Hertz.
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