wundernswerte Kunst des Erzählens, aber nicht zum wenigsten auch die des Verschweigens bildet wohl mehr noch die Ursache dieser Wirkung. Dazu kommt die unübertreffliche Zeichnung der märkisch-bäuerlichen Figuren, die echt oderbruch-dörfliche Lokalfarbe, die vollendete Malerei von Wetter-, Jahres- und Tageszeitstimmungen, die plastische Klarheit und Anschaulichkeit in den Ortsschilderungen, Gestalten wie die alte Jeschke, der Gensdarm Geelhaar, der Hausknecht Ede... das sind mit verhältnismäßig wenigen Meisterstrichen entworfene Menschenwesen von einer Lebensfülle, einer persönlichen Bestimmtheit und Überzeugungskraft, wie sie auch Menzel, Turgenjew und Fritz Reuter den von ihnen gezeichneten nicht in höherem Maße verliehen haben. Um zur vollen Erkenntnis und Würdigung der Komposition dieser Erzählung zu gelangen, lese man sie sofort noch ein zweites Mal. Dann erst wird man sich der ganzen Feinheit der Motivierung, des Aufbaus der Handlung, der Schürzung aller Fäden bewußt und genießt erst ganz die Arbeit des Künstlers, den man beim ersten Lesen - gepackt und beherrscht von der Gewalt des stofflichen Interesses - über seiner Schöpfung fast vergaß".
'■ Fontane denkt hier an ein Gespräch, das er knapp drei Jahre zuvor - im Februar 1883 - mit dem Diplomaten und Schriftsteller Rudolf Lindau (1829 bis 1910) geführt hat. Lindau bekannte ihm damals, daß sein eigenes Schaffensprinzip das realistische seines langjährigen verehrten Freundes Turgenjew sei (vgl. Th. Fontane, Rudolf Lindau. Ein Besuch. In: Sämtliche Werke. Band XXII I: Literarische Essays und Studien, München 1963, S. 327). Gerügt, daß er seinen Freund aus „Tunnel"-Tagen und vielfachen Gönner Paul Heyse in „Von Zwanzig bis Dreißig" nicht genügend gewürdigt habe, zog Fontane gewissermaßen die Summe seiner Urteile über diesen seinerzeit bewunderten Dichter in einem Brief an Friedrich Fontane vom 21. Juni 1898: „.. . so klug, so fein, so geistvoll, so äußerlich abgerundet bis zur Meisterschaft er ist, so ist doch die Kluft zwischen ihm und mir zu groß, um meinerseits mit Ruhmesdithyramben über ihn losgehen zu können. Er hat seinen Platz in der Literatur, was schon sehr viel ist, aber ein Eroberer ist er nicht."
(l Von Pawel Annenkow erschien in „Nord und Süd", Band 36, Heft 106 (Januar 1886) „Ein sechsjähriger Briefwechsel mit Iwan S. Turgenjew. 1856-1862. Aus dem Russischen übersetzt von A. Grebst in Petersburg."
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Berlin, 24. Dezember 1885
Teuerster Pietsch!
Der durch beiliegende Karte mitbeglaubigte jugendliche Hauptmann George Fontane hatte vor, morgen die Gratulationen der Familie persönlich zu überbringen. Seit heute, mit dem Glockenschlag zwölf glücklich verlobt, sind diese guten Vorsätze hinweggeschwunden, und Sie werden der erste sein, der seine verzeihende Zustimmung dazu gibt. Den Namen der Braut darf ich noch nicht nennen - er spielt ins Normannisch-Meyerbeersche hinüber 1 - da die Ver-
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