3 Kronprinz Friedrich Wilhelm litt an Kehlkopfkrebs, an dem er im Juni 1888 als Kaiser Friedrich III. nach 99 Tagen Regierungszeit starb.
'■ Pietsch erfüllte Fontanes Wunsch und besprach das Buch in der „Schlesischen Zeitung", Nr. 313 vom 5. Mai 1888, unter „Literarisches". Im Hinblick auf die „Wirrungen auf dem Gebiete der Sittlichkeit" schrieb er über den Roman: „Seine wesentlichere Besonderheit liegt in der ganz ungewohnten Art, in welcher die Handlung sich schließlich entwickelt, die Irrungen sich rächen, die Wirrungen sich lösen. Als der Roman im vorigen Sommer im Feuilleton der ,Vossischen Zeitung' erschien, äußerte eine große Zahl seiner Leser lebhaft ihre Verwunderung und ihren Unmut darüber, daß er gar keinen Schluß habe, daß der Verfasser da abbreche, wo man erwartet hätte, die Entwicklung der Katastrophe erst beginnen zu sehen.
Aber der Erzähler konnte diesen Vorwurf mit dem Hinweis auf das Leben zurückweisen und damit seine Berechtigung widerlegen. Jede lehrhafte, predigende, warnende, moralisierende Tendenz liegt Fontane fern; aber sicher ist er und seine Erzählung ebenso frei von jedem unsittlichen Anhauch, wie ruhig, einfach und offen er auch Verhältnisse behandelt und Persönlichkeiten schildert, über welche die Menschen der guten Gesellschaft gewöhnt sind, ,gesittet Pfui! zu sagen' . .. Der Dichter aber weiß aus reicher Erfahrung und Beobachtung der Herzensirrungen und Wirrungen, daß die tragischen Ausgänge mit Schrecken und Verzweiflung doch immer nur die Ausnahmefälle sind und daß sich in Wahrheit bei guten und gesunden Naturen und zumal unter einer gewissen günstigen Bedingung vieles wieder zurechtrückt und in ein regelrechtes Geleise zurückkehrt, was einmal durch Leidenschaft verschoben und von dem korrekten Wege ab in ,laby- rinthische Bahnen' gedrängt worden war. Und es reizte ihn die Aufgabe, gerade das überzeugend und folgerecht darzustellen statt das herkömmliche und beliebte jammervolle Trauerspiel vom verlassenen Mägdelein und vom gebrochenen Mädchenherzen wieder einmal in neuer Bearbeitung zu schreiben." - An der Gestalt des Botho beanstandete Pietsch allerdings, daß Fontane hier einem Vertreter der preußischen Adels- und Offizierskaste mehr positive Eigenschaften und menschliche Wärme zugemessen habe, als in der Wirklichkeit zu finden sei.
3 Paul Schlenthers Rezension von „Irrungen, Wirrungen" erschien am 1. April 1888 in der VZ. Über die zeitgenössische Aufnahme des Romans vgl. die von Jürgen Jahn erarbeitete Wirkungsgeschichte in: Theodor Fontane, Romane und Erzählungen, Berlin 1969, Band 5, S. 543-558.
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Teuerster Pietsch!
Berlin, 22. Dezember 1889
Ich hänge nur noch in den Gräten und bin immer nur vormittags außer Bett, um ein paar Briefe zu schreiben. Der 30. Dezember und dann hinterher das Abendfest am 4. Januar 1 - das alles steht wie ein Berg vor mir. Sie sind der Glückliche, den das nicht anficht, und dem jede Gesellschaft nur Kräfte zu
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