Heft 
(1969) 9
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kommen. In meinen Jahren erhebt jeder neue Tag den Finger mit der Dro­hung:Du! Du! Nur kein Aufschieben. Was du tun willst, tue bald, heute noch."

Im letzten Sonntagsblatt der Vossin hat mich der Artikel über Henriette Herz' 5 interessiert. Sie haben ihn vielleicht auch gelesen. Als literarische Leistung ist er keineswegs hervorragend (ein bißchen konfus), aber er hat mich wieder mit der Nase auf die schmerzliche 5 Tatsache gestoßen, daß das gesellschaftlich hö­her potenzierte Berliner Leben immer nur ein Juden- will sagen Jüdinnen­leben gewesen ist. Eine Bourgoisfrau oder -tochter hat hierlandes nie was ge­sprochen, um das man sich hätte kümmern müssen. Und der Adel, seitdem er fromm und noch sonst einiges geworden ist, versagt auch. Aus diesem Fakt erklären sich einige der wichtigsten unsrer wenig erfreulichen Zeiterscheinun­gen.

Empfehlen Sie mich Fräulein Jenny. In herzlicher Ergebenheit

Ihr Th. Fontane

Gedruckt nach der Schreibmaschinenabschrift im Fontane-Archiv Potsdam (vgl. Briefe Theodor Fontane. Zweite Sammlung, a. a. O., 2. Band, S. 432-433).

Kommentar

1 Pietsch hatte in der RubrikKunst, Wissenschaft und Literatur" in der VZ Nr. 502, Morgenausgabe vom 26. Oktober 1897 von mehreren neueröffneten Kunsthandlungen in der Potsdamer Straße berichtet und dabei dieGemälde­handlung und permanente Ausstellung (ohne Eintrittsgeld) von Fräulein M. Rubi" in der Potsdamer Str. 134c mit den Worten eingeführt:Noch neueren Datums aber ist die, welche sich seit einigen Tagen in einem .klassischen' geweihten Hause der Potsdamer Straße, noch näher dem Potsdamer Platz aufgetan hat: im Erdgeschoß des Hauses, welches die Nummer 134c führt und gleichsam als Hauszeichen den über dem Portal angebrachten Johanni­terschild mit dem weißen Kreuz im roten Felde zeigt; des Hauses, an dem einst eine bronzene Ehrentafel es allen Vorübergehenden verkünden und ins Gedächtnis rufen wird: .Hier lebte und schuf untsterbliche Werke deutscher Dichtung Theodor Fontane'."

2 Fontane war am 23. August 1897 nach Karlsbad gefahren.

3 Drei Tage zuvor hatte Fontane das vollendete Manuskript des RomansDer Stechlin" nach Stuttgart geschickt, wo er in der ZeitschriftÜber Land und Meer" (Bd. 79, Oktober 1897 - März 1898) vorabgedruckt wurde.

4 Heinrich Meisner, Henriette Herz nach dem Urteile ihrer Zeitgenossen. In: Sonntagsbeilage Nr. 43 zur VZ Nr. 500 vom 24. Oktober 1897, S. 2-3.

5 Das Wortschmerzliche" ist in der Schreibmaschinenabschrift nachträglich ausgestrichen.

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