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fehlte in der Berliner Dichterkorona gerade eins der strahlendsten Juwelen."
3 Hier einige Auszüge aus dem erwähnten ungezeichneten Leitartikel: „Daß der preußische Minister, der das Unterrichtswesen verwaltet, amtlich auch .Minister der geistlichen Angelegenheiten' ist, hat man gewußt; daß aber seine Regierung als .Ministerium des Geistes' bezeichnet werden darf, hat man erst am Sonntag bei schäumendem Sekt von Herrn Bosse erfahren ... Ein Ereignis aber ist es, daß ein Kultusminister nicht nur die Freiheit des Geistes, die Unabhängigkeit der Wissenschaft rühmt, sondern das hochgemute Journalistentum und den unbeugsamen Schriftstellerstand als einen Segen für das Vaterland und die Nation öffentlich rühmt und beglückwünscht. Er spricht von der .reinen Bergluft der Freiheit', . .. von der Notwendigkeit, die Bahn des Geistes freizumachen und die Schlagbäume wegzuräumen, die sie sperren. Wenn die Worte des Herrn Bosse Taten wären, wie herrlich sähe es in Preußen aus! Hörte man seine weihevolle Lobrede auf die Freiheit, auf die .freien Arbeiter des Geistes', man sollte meinen, keiner seiner Hörer hätte jemals in Plötzensee blaue Hirsensuppe genossen, . .. man sollte meinen, niemals habe über die Anstellung Berliner Lehrerinnen ein Zwiespalt zwischen dem .Minister des Geistes' und dfcr Gemeindeverwaltung bestanden. Wie stolz konnte Herr Bosse nicht den Gedanken abweisen, als habe die Regierung durch die Verleihung eines Titels einen siebzigjährigen, in Ehren ergrauten Schriftsteller seiner Unabhängigkeit berauben wollen! Mit Verlaub, wie stellt sich Herr Bosse einen solchen Wandel vor? Wer bis an die Schwelle des biblischen Alters nur dem Volk und der Kunst gedient hat, wird nicht um eines leeren Titels willen zum Diener von Exzellenzen werden. Der Minister . .. ehrte sich selbst, indem er einen Mann der Feder ehrte, der sich nur einen Stern zweiter Größe nennt. Vor etlicher Zeit aber hat die ganze zivilisierte Welt Jubelfeste Virchows und Mommsens gefeiert. Das sind Sterne allererster Größe. Wo war da ... der Minister des Geistes? Oder war da das Ministerium des Geistes nur noch das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten? . ..
Schön klingt das Lied vom Adel unabhängiger, unbeugsamer Gesinnung ... Aber wie! . . . Überall tritt das Streben der Regierung hervor, unabhängige Kreise abhängig, abhängigen ihre Abhängigkeit fühlbarer zu machen. Selbst wenn die Schulmeister Alterszulagen erhalten sollen, hat Herr Bosse dafür gesorgt, daß das Wohlverhaltenszulagen werden, da ihre Gewährung nicht allein von dem Dienstalter, sondern von der Aufführung des Lehrers abhängig sein soll und darüber entscheidet die hohe Behörde. Auch politische Strafversetzungen sind ihr nicht unbekannt.. . Wie schön aber müßte sich nicht eine Rede, wie Herr Bosse sie vor Schriftstellern gehalten hat, im preußischen Staatsministerium oder im deutschen Bundesrat ausnehmen! Da hätte ein Minister des Geistes seines Amtes zu walten ... In Rußland gibt es ein Ministerium für Volksaufklärung, dem von moskowitischen Staatsmännern die Aufgabe zugeschrieben wird, die Volksaufklärung zu hindern . .. Und die Wahrheit ist, daß das .Ministerium des Geistes', wenn es nicht freiheitlicher als bisher des Amtes waltet, leicht in Gefahr kommen kann, als das Ministerium gegen den Geist bezeichnet zu werden."
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