ehrer Pietsch als lebendigste Quelle aufmerksam gemacht haben wird. Der „Mörike-Storm-Briefwechsel" war 1891 von Jakob Bächthold herausgegeben worden.
32
Berlin, 29. Juni 1898
Teuerster Pietsch!
Gestern abend bin ich retourniert 1 , heute früh avanciert 2 . Seien Sie herzlichst bedankt. Es ist ein Kabinettstück, wobei ich mir bewußt bin, daf 3 meine Freude darüber nicht bloß ein Kind empfangener großer Freundlichkeiten, sondern zugleich ein Kunstgefühlprodukt ist. Gelobt werden ist immer gut, aber den Ausschlag gibt doch das »Wie". Ganz besonders dankbar bin ich Ihnen für den Hinweis, daß ich andern zu Leibe rücke, mir selbst aber auch. 3 Und hätte ich meiner Neigung folgen können, so wäre ich noch ganz anders gegen mich losgegangen. Denn inmitten aller Eitelkeiten, die man nicht los wird, kommt man doch schließlich dazu, sich als etwas sehr Zweifelhaftes anzusehen: „Thou co- mest in such a questionable shape*. 4
Nochmals allerschönsten Dank. Ich rangiere es unter früher erfahrene Liebes- taten ein, aber nicht unten oder in die Mitte, sondern obenan.
In herzlicher Ergebenheit Ihr Th. Fontane
Gedruckt nach der Schreibmaschinenabschrift im Fontane-Archiv Potsdam (vgl. Briefe Theodor Fontanes. Zweite Sammlung, a. a. O., 2. Band, S. 468-469).
Kommentar
1 Fontane war von seinem fast zweimonatigen Aufenthalt auf dem Weißen Hirsch bei Dresden zurückgekehrt. Pietsch besuchte ihn am 20. Juli 1898 ein letztes Mal.
2 Gemeint ist durch Pietschs in der VZ Nr. 297 vom 29. Juni 1898 erschienene Besprechung von „Zwanzig bis Dreißig".
3 Pietsch hatte geschrieben: »Nie war eine Autobiographie freier von jener Schwäche, an der solche Memoiren nur gar zu häufig kranken: von der Selbstbespiegelung, von dem Bestreben, den Lesern ein möglichst schmeichelhaftes Bild von dem Autor zu entwerfen. Fontane verfährt oft wahrhaft grausam mit der Hauptperson seines Buches, d. h. seiner eigenen. Aber freilich - alle die dem eigenen Menschen von ihm nachgesagten Fehler, Irr- tümer, schwache und komische Seiten, begangene Torheiten, verkehrte Handlungen, unterlassene Guttaten lassen ihn uns nicht weniger liebenswert und sympathisch erscheinen. Wer so schonungslos mit seinem Selbst verfährt, braucht sich auch nicht davor zu scheuen, seiner Meinung und Anschauung von den anderen rückhaltlos Ausdruck zu geben. Von diesem Recht macht denn auch Fontane ausgiebigen Gebrauch. Aber gerade dadurch kommen die zahlreichen Bildnisse seiner Zeitgenossen... so menschlich wahr heraus."
4 William Shakespeare, Hamlet, 1. Akt, 4. Szene: „Du kommst in so fragwürdiger Gestalt".